Dieser Aufsatz konzentriert sich auf die Erklärung des „Freund – Feind“ Phänomens, durch die Definition des Selbst, bzw. der Gruppe zu der wir gehören. Mit der Hilfe der bekannten These von Carl Schmitt und des nationalen Mythos versuche ich zu erklären, wie der Zusammenhalt in der Gesellschaft ausgestaltet und gepflegt wurde. Außerdem prüft das serbische Beispiel, inwiefern der Tatbestand eines nationalen Mythos für die Bildung der Freund-Feind Antithese wichtig ist.
(Schlüsselwörter: Identität, Kosovo-Mythos, Serbien, Kosovo und Metochia, Kroatien, C. Schmitt)
Text
Die Gruppe kann kaum ihre ‚Ich‘-Identität definieren, ohne sie auf die Außenwelt zu beziehen. Der einfachste Weg unser ‘Ich‘ zu identifizieren, besteht darin, bestimmte Merkmale der Gruppe durch die Beschreibung und den Vergleich der bestehenden Unterschiede zu erkennen (Neumann 2011). Daher ist der Prozess der Gruppenidentifikation mit der Konstruktion des „Anderen“ verbunden. Das Kollektiv bewahrt höchstwahrscheinlich ihre einzigartige Identität, wenn es sich auf bestimmte Merkmale bindet, die das Kollektiv so einzigartig und unterschiedlich von ‚äußeren‘ Kollektiven machen. Die Unterschiede zwischen uns und ihnen können schliesslich unveränderlich und in Zeiten der sozialen Krise in den Vordergrund treten. So werden in Zeiten der Krise der Zusammenhalt in der Nation durch die Schaffung von antagonistischen Bildern von Freunden und Feinden gehalten und die unveräußerlichen Unterschiede hervorgehoben, die leider zu Krieg und Leid führen können (siehe Neumann 2011, 43).
Obwohl Carl Schmitt seine Ideen zur Zeit der mageren Weimarer Republik, der deutschen Reparationen und der wachsenden Unzufriedenheit wegen des Vertrags von Versailles definierte, die in den Nazismus geführt haben, sind sie aber mit dem Fall des Dritten Reiches nicht abgeklungen. Sein Konzept der politischen Identität (Schmitt 2007) strebte nach der Identifizierung der Feinden und Antagonismen, die aus der Antinomie von Freund-Feind entstanden. Wenn wir nur auf die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts einen Blick werfen, können wir Schmitts Ideen in einer breiten Palette von Süd- und Nordkorea bis nach Nordirland und von Ruanda bis zum Balkan begegnen.
Der jugoslawische Fall ist hier ein gutes Beispiel. Eine der wichtigsten Säulen Jugoslawiens, die das Land am Leben hielt – Brüderlichkeit und Einheit – verwandelte sich in einen Nationalismus und in eine Einteilung in Freunde und Feinde. Um die serbische nationale Identität zu verstehen, sollte man auf die ferne Vergangenheit zurückblicken, auf das Jahr 1389, als der sogenannte Kosovo-Mythos gebildet wurde, der später und noch darüber hinaus als Grundlage des serbischen nationalen Wesens diente. Am 28. Juni 1389 fand die Schlacht von Kosovo in dem kleinen Dorf Kosovo Polje (Fushë Kosovë) statt und wurde als Wendepunkt in der Geschichte des serbischen Staates wahrgenommen, der kurz nach der Schlacht ein Teil des Osmanischen Reiches wurde. Es folgte die sogenannte Periode der „türkischen Sklaverei,“ die bis zur endgültigen Unabhängigkeit von Serbien dauerte. Die Schlacht von Kosovo wurde als Golgatha des serbischen Volkes dargestellt, das durch die Verteidigung der Freiheit seines Landes starb. Das Datum und die Ereignisse, die sich zu einer Art Mythos entwickelten, galten als Grundlage der serbischen Identität (Đerić 2015). Jene war, neben der Religion, der wichtigste Kohäsionsfaktor des serbischen Volkes im Osmanischen Reich, die als Mittel verwendet wurde, um das türkische Volk zu dämonisieren und das serbische als Opfer darzustellen.
Nun ist gerade die Bedeutung des Kosovo-Mythos für das serbische nationale Wesen während der jährlichen Feier des Vidovdan, des Tags der Kosovo-Märtyrer, bezeichnend (Đerić 2005). Doch obwohl der Mythos der wichtigste Faktor der Kohäsion des serbischen Volkes blieb, änderten sich die Protagonisten der Freund-Feind Antithese. Während der Zeit der Herrschaft des Osmanischen Reiches floh eine große Zahl von Serben aus dem Kosovo und Metohija, während die albanische Bevölkerung, vor allem Muslime, sich auf verlassene Gebiete ansiedelte. Zu der Zeit als der Kosovo befreit wurde (im Jahre 1912), wurde die ethnische Karte des Gebiets vollständig geändert. Antagonismen zwischen den beiden Völkern verwandelten die Albaner in Erzfeinde der Serben und Kosovo wieder in ein Schlachtfeld. Obwohl Tito und die Partei versuchten, während der gesamten Lebensdauer des kommunistischen Jugoslawiens, ein multiethnisches Kosovo am Leben zu halten, wurde die friedliche Koexistenz zwischen Nachbarn oft in Frage gestellt. Eines der wichtigsten Ereignisse war ein Protest der Kosovo-Albaner im Jahr 1968 gegen die jugoslawischen Behörden, in der sie ihre Unterstützung von Enver Hoxha (damaliger Staatsführer Albaniens) betonten und die Abspaltung des Kosovo forderten. Tito dachte, dass die einzige Sache, die die albanischen Sezessionsbestrebungen beruhigen konnte, die Annahme einer neuen Verfassung war, die mehr Vorschriften für die Selbstverwaltung des Kosovo garantieren würde. Die Verabschiedung der neuen Verfassung von 1974 markierte den Beginn des grausamen Epilogs des Kosovo als serbisches Land (Stojanović 2009, 9). Die oben erwähnte Verfassung änderte den Status des Kosovo, der jetzt de facto eine der Republiken Jugoslawiens wurde, unter anderem mit der Möglichkeit, eine Entscheidung der offiziellen Stellen in Belgrad zu blockieren.
Die Spannungen im Kosovo nahmen zu. Serben, die sich von den Behörden verlassen und verraten fühlten, wendeten sich wieder zu dem Kosovo-Mythos hin. Die Viktimisierung des serbischen Volkes und die Rückkehr des Kosovo-Mythos wurden in Slobodan Milosevic personifiziert, der im Auge des Volkes Spannungen im Kosovo beruhigen und ein würdiges Leben für die Kosovo-Serben ermöglichen konnte (Stojanović 2009, 12-13). Dies ist jedoch nicht geschehen. Die durchgeführten Maßnahmen von den Behörden vertieften nur den Gegensatz und ein Krieg wurde unvermeidlich. Nach dem Krieg und der einseitigen Abspaltung des Kosovo hat der Kosovo-Mythos seine Zuflucht in Sitten, Geschichten, Gedichten und sogar in historischen Lehrbüchern gefunden (Nakarada et al. 2015).
Das zweite serbische „Andere“, ebenso wichtig für das Verständnis der neueren Geschichte, ist das kroatische „Andere“. Der Ort, der am meisten zu den antagonistischen Beziehungen zwischen Serben und Kroaten beigetragen hat, heisst Jasenovac. Das Konzentrationslager Jasenovac wurde im gleichnamigen Ort gebildet und repräsentiert das größte und bekannteste Todeslager im Unabhängigen Staat Kroatien (NDH), von 1941 bis 1945. Das Lager war die Hinrichtungsstätte von Serben, Roma und Juden, aber auch von ihren Anhängern und Kommunisten. Niemand kennt die genaue Zahl der in Jasenovac getöteten Menschen, aber was sicher ist, ist die Tatsache, dass dies als eine der wichtigsten Trennlinien zwischen dem serbischen und kroatischen Volk wahrgenommen worden ist. Während der Zeit des zweiten Jugoslawiens (1943/45–1992) wurden die Geschichte der NS-NDH und Jasenovac unterdrückt, um nicht negative Emotionen der Serben zu wecken und dadurch die „Brüderlichkeit und Einheit“ in Gefahr zu bringen. Doch kurz vor dem Zerfall Jugoslawiens, erinnerten sich die Serben, vor allem diejenigen, die in Kroatien lebten, an die „Fabrik des Todes“ und deren Täter, die nicht angemessen bestraft worden waren.
Die politische Identität der Serben in Kroatien bekam ihre neue Form zu Beginn der neunziger Jahre, als die neue kroatische Verfassung verabschiedet wurde, die den Status der serbischen ethnischen Gruppe geändert hatte – der Status des konstitutiven Volkes wurde auf den einer nationalen Minderheit reduziert. Daher wurde damals die Trennung zwischen „uns“ und bösartigen „ihnen“ als eine Entschuldigung für die zahlreichen Aktionen der jugoslawischen Volksarmee, sowie verschiedenen serbischen Divisionen wahrgenommen. Doch der unvermeidliche Krieg bekam seinen tragischen Epilog in den sogenannten Operationen Blitz und Sturm – die Zeit der ethnischen Säuberungen im Sommer 1995 – in denen eine große Anzahl von kroatischen Serben aus Kroatien fliehen musste. Die Serben (vor allem diejenigen, die ihre Häuser verlassen hatten) begannen ihre Identität zu formen, die jetzt aus einem anderen Ereignis hervorkam, das jedoch dem Kosovo-Mythos und dem Jasenovac ähnelte.
Obwohl es scheinen mag, dass die Beziehungen zwischen den beiden Nationen heutzutage eine Chance zu Verbesserung haben, vor allem dank der Jugend, reicht ein einziger Moment aus, um eine Lawine von negativen Emotionen auszulösen. Ein Beispiel bezieht sich auf die Art und Weise, wie zwei Nationen den 5. August interpretierten – in Serbien wird Operation Sturm als Tag der Trauer und des Gedenkens an die Opfer gesehen, während in Kroatien ein Militärparade an der zweitägigen Feier durchgeführt wird.
Obwohl er für seine realistischen Ideen kritisiert wurde, zeigt das tragische jugoslawische Beispiel, dass die Gedanken von Carl Schmitt immer noch anwendbar sein können. Die Mehrheit der Nachbarstaaten wird immer noch als versteckte Feinde dargestellt, auch wenn sie sich von „uns“ nicht zu sehr unterscheiden. Historische Fakten, geformt durch die Mythen, Ideologien und Propaganda, bringen oft ans Licht, dass die Trennlinien manchmal tiefer sind, als sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. Der Kosovo-Mythos und eine weitere „Besatzung“ des Kosovo bilden sicher die wesentliche Grundlage der erneuten serbischen nationalen Identität, vor allem nach der einseitigen Erklärung der Unabhängigkeit des Kosovo (siehe Nakarada et al. 2015). Auf der anderen Seite, führen die Erinnerung an Jasenovac und Operationen Blitz und Sturm zu den negativen Gefühlen gegenüber dem kroatischen Volk.
Quellen
- Đerić, Gordana. Pravo lice množine: kolektivno samopoimanje i predstavljanje: mitovi, karakter, mentalne mape i stereotipi. Beograd: Institut za filozofiju i društvenu teoriju i Filip Višnjić.
- Nakarada et al. Etnički stereotipi i nacionalni mitovi kao prepreke pomirenja u srpsko-albanskim odnosima. Beograd: FPN i Službeni glasnik. 2015.
- Neumann, Iver. Uses of the Other: “The East” in European Identity Formation. Sluzbeni glasnik. Beograd. 2011.
- Schmitt, Carl. The Concept of the Political. Chicago: University of Chicago Press, 2007.
- Stojanović, Đorđe. Ideaciona formulacija neprijatelja: Slučaj Srbije. Univerzitet Singidunum. Novi Sad. 2009.
- http://balkans.aljazeera.net/vijesti/godisnjica-oluje-zavrsena-vojna-parada-u-zagrebu, 16.01.2016
- http://www.balkaninsight.com/rs/article/dan-%C5%BEalosti-u-srbiji-i-rs-na-godi%C5%A1njicu-oluje, 16.01.2016
Bildquelle: http://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Schlacht_auf_dem_Amselfeld_(1389)
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