Erleichterung und Hoffnung überwogen mit dem Sieg des französischen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron und der Niederlage der rechts-populistischen Gegenkandidatin Marine Le Pen in Europa. Wenige Zeit später scheinen sich jedoch schon die ersten Konfliktlinien zwischen zentralen Reformvorhaben Macrons – wie der Schaffung eines gemeinsamen EU-Finanzministeriums oder sog. Eurobonds – und den Vorstellungen der größeren deutschen Regierungspartei abzuzeichnen (Frankfurter Rundschau 2017). Doch wie sehen die zukünftigen Problemfelder, Erwartungen und Potentiale zwischen Macron und den Staaten östlich vom engverbundenen deutschen Partner aus? Wird Macron das „Kerneuropa“ stärken können, ohne die Visegrád-Staaten an den Rand zu drängen? Oder wird die Visegrád-Gruppe dem (potentiellen) französisch-deutschen Motor weitestgehend folgen?

Dieser Artikel soll einen kurzen Überblick über den bisherigen Stand der Beziehungen zwischen Macron und den einzelnen Visegrád-Staaten sowie deren Erwartungen liefern.

Polen. Unvorteilhaft erschienen jeweils beide möglichen Siege sowohl von Macron, als auch von Le Pen für die jetzige polnische Regierung: So offenbarte Le Pen eine eindeutig anti-amerikanische und zugleich pro-russische Haltung, was der Kreml-skeptischen Partei PiS („Recht und Gerechtigkeit“) offen missfällt, während Le Pen in ihrer ausländerfeindlichen Rhetorik den Zugang osteuropäischer Migranten zum französischen Arbeitsmarkt sichtlich erschweren wollte. Andererseits forderte Macron, im starken Kontrast zur EU-skeptischen und national-konservativen PiS-Regierung, weitere Integrationsschritte der EU-Mitglieder, wobei er es sich (möglicherweise im Eifer des Wahlkampfes) auch nicht nehmen ließ, Kaczynski in eine Reihe mit Orban, Putin und Le Pen zu stellen. Darüber hinaus prangerte er nach dem Besuch einer französischen Fabrik nicht nur die tatsächlichen demokratischen Verstöße der polnischen Regierung, sondern auch jenes sog.
„social dumping“ osteuropäischer Unternehmen an (Politico 2017).

Ein Blick auf die bisherigen diplomatischen Beziehungen zwischen der französischen und der PiS-Regierung stimmen dieses Verhältnis jedoch auch nicht positiver; so sagte der französische Präsident Francois Hollande nach dem Aufkündigen eines milliardenschweren Kaufs von Hubschraubern des Typs H225m Caracal auf Seiten des polnischen Verteidigungsministeriums seinen Besuch in Warschau ab. Neben einigen verbalen Affronts hat die polnische Regierung, entgegen der Aufforderung der französischen Regierung, keine Erklärung zur Frage, ob das polnischen Militär Interesse an einer neuen verteidigungspolitischen Struktur der EU hat, abgegeben (Polityka 2017). Die Liste der neu entstandenen Auseinandersetzungen ließe sich noch weiter ausführen; die „Abkühlung“ der polnisch-französischen Beziehungen scheint vor dem Hintergrund der vergleichsweise rational geführten Beziehungen zur deutschen Regierung jedoch klar hervorzustechen.

Ein Grund für die Vernachlässigung der französisch-polnischen Beziehungen auf Seiten von der polnischen Regierung war gewiss auch die überwiegende Ansicht im polnischen Außenministerium, dass die EU-skeptische britische Regierung ein enger Verbündeter Polens in der EU bleiben würde (Dziennik.pl 2016). Der kommende „Brexit“ wird diese langfristige Strategie jedoch untergraben. Umfragen zeigen, dass nicht nur die polnische Regierung, sondern auch eine knappe Mehrheit der polnischen Bevölkerung gegen eine baldige Einführung des Euros in Polen ist (CBOS 2014). Obgleich sich Polen genauso wie Tschechien und Ungarn zur Einführung des Euros vertraglich verpflichtet hat, steht die PiS-Regierung der Einführung skeptisch bis ablehnend gegenüber (Dziennik.pl 2015). Doch im Gegensatz zur PiS-Regierung ist die Mehrheit der polnischen Bevölkerung offen für weitere EU-Integrationsschritte. So bleibt es auch abzuwarten, inwieweit die EU-freundliche Haltung Macrons auf die polnische (Zivil-)Gesellschaft Einfluss haben wird. Wichtiger für die zukünftige polnische EU-Politik scheint jedoch die Frage zu sein, ob es Macron gelingen wird, das von ihm bevorzugte Modell eines Europas von vielen Geschwindigkeiten gegen den Willen der polnischen Regierung zu etablieren. Entscheidend dafür ist wiederum nicht nur die Haltung von Deutschland, sondern auch von den anderen Visegrád-Staaten.

Tschechien. Einem ähnlichen Dilemma stand auch die tschechische Koalitionsregierung aus der Tschechischen Sozialdemokratischen Partei (CSSD), der ANO 2011 sowie der kleineren christdemokratischen Partei (KDU-CSL) nach dem ersten Sieg Macrons gegenüber; während die nationalistische Ausrichtung Le Pens von allen drei Regierungsparteien eindeutig abgelehnt wurde, sprach sich u.a der Vorsitzende von ANO 2011 Andrej Babiš gleichzeitig klar gegen einige Forderungen Macrons, v.a. im Bereich einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik, aus (Radio Praha 2017). Bezüglich der Einführung des Euros gehen auch die Ansichten der CSSD und ANO 2011 auseinander; während Sobotka den Euro als „Zukunft Tschechiens“ bezeichnete, lehnte Babiš dessen Einführung ab (finanzen.net 2017). Die kürzliche Rücktrittserklärung des Premierministers Bohuslav Sobotka im Zuge der Affäre um Babiš lässt jedoch eine klare Einordnung der tschechischen Außenpolitik gegenüber Macron nur bedingt zu. Umfragen deuten auf einen Sieg von ANO 2011 in den Parlamentswahlen im Oktober 2017 hin, was die Realisierungen der Forderungen von Macron zumindest mit Hilfe von Tschechien erschweren würde (CVVM 2017). Interessant ist jedoch auch, dass, im Einklang mit Macron, die tschechische EU-Kommisarin Vera Jourova die Konditionalität der EU-Strukturfonds von funktionierenden demokratischen Institutionen der Mitgliedsstaaten fordert, was zu Konflikten mit der polnischen bzw. ungarischen Regierung führen könnte (Spiegel Online 2017).

Slowakei. Obgleich der slowakische Premierminister Robert Fico zusammen mit Ungarn im Dezember 2015 Klage beim Europäischen Gerichtshof gegen eine Quotenregelung zur Verteilung der Flüchtlinge eingereicht hat und auf die Rückgabe nationaler Kompetenzen verweist, wünscht sich Fico gleichzeitig mehr Zusammenarbeit in anderen EU-Politikfeldern. Mehr noch, im Gegensatz zur polnischen und ungarischen Regierung, verweist Fico daraufhin, dass „die Slowakei im Kern der EU-Integration bleiben [will und muss]. Wir [die Slowakei] wollen überall dabei sein. Die EU ist für uns ein lebenswichtiges Projekt“ (Deutschlandfunk 2017). Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären?

Auf der einen Seite baute die Partei Ficos (Smer) ihre Wahlkampagne in den Parlamentswahlen letzten Jahres klar auf einer Anti-Flüchtlingspolitik auf, so dass aus rein innenpolitischen Motiven (ähnlich wie in Polen und Ungarn) ein Nachgeben in diesem Bereich die eigene Glaubwürdigkeit in den Augen der slowakischen Wählerschaft unterminieren würde. Auf der anderen Seite erhält kein anderes Land mehr EU-Subventionen pro Kopf als die Slowakei. In diesem Sinne ist auch die Wahrnehmung der EU-Institutionen vergleichsweise positiv; so sind ungefähr zwei Drittel der Slowaken für ein Verbleib in der EU (Ebenda). Ein weiterer Grund für die „innere Zerrissenheit“ der größten slowakischen Regierungspartei zeigt sich u.a. in der Tatsache aus, dass etwa die Hälfte der Smer-Wähler im klassischen Sinne linksorientiert (mehrheitlich EU-freundlich) sind, während die andere Hälfte stark national-konservativ (tendenziell EU-skeptisch) eingestellt sind (vgl. Blaha 2013). Demnach muss Fico stets zwischen den beiden Wählergruppen lavieren, um nicht (weiter) an Wählerstimmen zu verlieren.
Als einziges Mitglied der Euro-Zone unter den Visegrád-Staaten würde die Slowakei, im Falle der Realisierung von Macrons Bestreben einer weiteren Integration der Euro-Gruppe, einen „quasiautomatischen Integrationsschub“ erfahren. Ob die slowakische Regierung den Plänen Macrons diesbezüglich zustimmen wird, bleibt zunächst unklar; einerseits hob diese z.B. die Blockade gegen eine Erweiterung des Euro-Rettungsschirmes im Jahre 2011 auf, andererseits können Euroskeptische
Regierungskreise innerhalb der Smer als auch bei dem Koalitionspartnern der Slowakischen Nationalpartei (SNS) Druck gegen eine Integration ausüben.

Ungarn. Im Unterschied zu den anderen Regierungen der Visegrád-Staaten, scheint man in Budapest dem Modell „der verschiedenen Geschwindigkeiten“ bzw. der weiteren Integration des sog. „Kerneuropas“ mit weniger Bedenken entgegenzusehen. So steht Viktor Orbans Regierung nicht nur einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik oder der Einführung des Euros entgegen; man betrachtet auch hier der EU-Integration skeptisch. Doch im Gegensatz zur polnischen Regierungsführung zeichnet sich die ungarische durch einen durchaus pragmatisch-orientierteren Kurs aus; so unterstütze Orban nicht nur die Wiederwahl des EU-Ratspräsidenten Tusk gegen den Willen seiner polnischen Amtskollegen, sondern beteiligt sich auch an EU-Beschlüssen, welche er im eigenen Land vehement kritisiert (FAZ 2017). Weiterhin ist die ungarische Wirtschaft in einem
hohen Maße auf den EU-Binnenmarkt sowie EU-Fördergelder angewiesen, so dass von der ungarischen Regierung u.a. die Forderung erhoben wird, dass diejenigen Staaten, die eine weitere Integration eingehen, auch anderen Ländern eine mögliche (spätere) Mitgliedschaft offen halten sollten (Ebenda).

Die von Macron angekündigten Sanktionen im Sinne eines Entzugs von Stimmrechten von Ungarn oder Polen im Europäischen Rat der EU sieht man eher gelassen; so lässt sich dieser Entzug nur einstimmig einführen (s. Art.7 des Vertrags über die Europäische Union). Dadurch, dass sich der ungarische Premierminister und die polnische Regierung bereits gegenseitig zugesagt haben, gegen einen möglichen Entzug des polnischen oder ungarischen Stimmrechts zu stimmen, scheint dieser Sanktionsmechanismus unwahrscheinlich. Andere, wie von Macron geforderte Sanktionsmöglichkeiten, sind (EU-)vertraglich nicht festgeschrieben, sondern bedürften Zusatzvereinbarungen, die von den EU-Mitgliedsstaaten verabschiedet werden müssten. Wahrscheinlicher ist eher ein mehr oder weniger impliziter Ausschluss von Ungarn oder Polen in Bereichen, die weniger supranational organisiert und mehr auf zwischenstaatlicher (freiwilliger) Kooperation beruhen, wie z.B. in der verteidigungspolitischen Struktur der EU. Dennoch scheint die tatsächliche Fahndung von demokratischen Rechtsverstößen auf EU-Ebene eher unwahrscheinlich (Spiegel Online 2017). So kann und wird aber Macron mit Forderungen nach Sanktionierungen der ungarischen Regierung als die Personifizierung des „Feindbild Brüssels“ von Orban instrumentalisiert werden, was diesem wieder helfen wird, nicht nur seine eigenen Anhänger zu mobilisieren, sondern auch die innere Kohäsion in seiner Partei zu fördern (vgl. Zeit 2017).

Fazit. Letztendlich wird deutlich, dass die Möglichkeiten der Visegrád-Staaten hin zu einer gemeinsamen Außenpolitik gegenüber der Politik Macrons begrenzt sind; während im Bereich einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik die vier Regierungen sich weitestgehend einig sind, zeigen sich „Risse“ insbesondere in Bezug auf die Integration der Euro-Gruppe: während die Slowakei bereits dessen Mitglied ist, erwägt die tschechische sozialdemokratische Partei die Mitgliedschaft, während Polen und Ungarn diese ablehnen. Darüber hinaus zeigt Slowakei eine gewisse Bereitschaft gegenüber einer weiteren Integration, wohingegen die ungarische Regierung eine vergleichsweise indifferente bzw. pragmatische Haltung einnimmt. Demgegenüber scheint die polnische Regierung ebendieses Modell der verschiedenen Geschwindigkeiten verhindern zu wollen. Somit bleibt auch vor dem Hintergrund der Wahlen des EU-Ratspräsidenten Tusk die Frage der Solidarität zwischen den Visegrád-Staaten offen; so findet ein Gegengewicht zum deutschfranzösischen Motor unter Führung von Warschau in den anderen Staaten keinen großen Anklang. Mit der etwas zurückhaltenden Haltung der größten Regierungspartei Deutschlands hinsichtlich der
Integration der Euro-Zone scheinen die jeweiligen Visegrád-Staaten außerdem einen potentiellen Partner finden zu können.

 

Quellen:

CBOS 2014. Available at: http://www.cbos.pl/SPISKOM.POL/2014/K_151_14.PDF [Accessed May 15, 2017].
CVVM 2017. Mehr zur Umfrage: https://cvvm.soc.cas.cz/media/com_form2content/documents/c2/a4283/f9/pv170424.pdf [Accessed May 13, 2017].
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