Ich kehrte gerade an meinen Arbeitsplatz zurück, als mein Handy plötzlich vibriert: „Monika, ich brauche dringend deine Hilfe!!“ Es war meine Freundin, die mich verzweifelt kontaktierte. „Kannst du bitte den folgenden Bescheid des Kroatischen Innenministeriums übersetzen?“ Ein PDF-Icon erscheint im Chatverlauf. „Es geht um einen Flüchtling den wir bei uns im Dorf aufgenommen hatten. Wir vermuten, dass es sich bei seinem Bescheid um eine Massenabschiebung handelt“.
Der Bescheid behandelt den Fall von Juri (Name geändert), der 1994 im Iran geboren wurde und im vergangenen Jahr in Zagreb auf internationalen Schutz ansuchte. Grund für seine Flucht war seine Konvertierung zum Christentum. Bei seinem letzten Besuch einer christlichen Hausmesse, wurden Juris Gebete von zwei hineinstürmenden Polizisten unterbrochen. Ihm gelang es knapp zu entkommen. Doch Juri wusste, dass er im Iran nicht mehr sicher war. Ihm drohte die Todesstrafe.
Der junge Iraner sah seine einzige Chance in der Flucht. In Europa angekommen, kam nach langem Warten der alles entscheidende Bescheid des kroatischen Innenministeriums. Urteil zum Antrag auf internationalen Schutz: negativ. In nur einem Satz, des vier Seiten langen Dokuments, urteilt das Ministerium, dass Juri eine sogenannte „Gefahr für den Staat“ darstelle und der Antrag auf internationalen Schutz daher nicht gewährt wird. Als „Gefahr für Kroatien“ wurden seit Anfang dieses Jahres bereits mehr als dreißig Antragsuchende eingestuft; neben Juri auch eine körperbehinderte Asylwerberin aus dem Irak, ein schwer kranker Syrer und sein 13-jähriger Sohn.[1]
Was genau diese „Gefahr für den Staat“ nun darstellt, wird im Bescheid nicht genannt. Auch bleibt den antragsuchenden Personen die Möglichkeit einer Beschwerde verwehrt. Ein ordentliches Verfahren und die Offenlegung der Beweise sind damit ausgeschlossen. Lediglich ein einfacher Verwaltungsstreit könne laut Bescheid in Gang gesetzt werden. Hinzu kommt, dass der Bescheid lediglich in der kroatischen Amtssprache ausgestellt wird. Die Flüchtlinge haben kaum eine Chance ihren Inhalt ohne auswärtige Hilfe zu verstehen. Dass dies kein „faires Verfahren“ sein kann, ist auch ohne eine juristische Ausbildung zu erkennen.
Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) spricht sich bereits seit dem Jahr 1953 in Artikel 6 klar und deutlich zur verpflichtenden Führung eines fairen Verfahrens aus. Dazu gehört unter anderem die Offenlegung des gesamten Beweismaterials. Auch sieht Artikel 6 vor, dass die angeklagte Person in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet werden muss.
Folgt man also der EMRK, hätte Kroatien schon längst mit einer Vertragsverletzungsklage gedroht werden sollen. Weder legt das kroatische Ministerium im Fall von Juri offen, wieso er als „Gefahr für den Staat“ angesehen wird, noch sorgt es für die Zustellung eines Bescheids in einer für ihn verständlichen Sprache. Dennoch bleibt Kroatien bis dahin unbescholten. Wieso? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat seit dem Jahr 2000 bereits wiederholt bestätigt, dass der Artikel 6 der EMRK auf Asylverfahren keine Anwendung findet.[2]
Wie kann es sein, dass das essentielle Recht auf ein faires Verfahren gerade für jene Menschen, die es am dringendsten benötigen, wirkungslos bleibt? Wie kann es sein, dass Asylanträge nicht individuell und gerecht, sondern unverständlich und in Massen bearbeitet werden? Wie kann es sein, dass Juri und unzählige weitere Flüchtlinge mit ihrer Abschiebung zurück in den sicheren Tod geschickt werden? Wie viel hat hier „Recht“ noch mit „Gerechtigkeit“ zu tun?
Quellen:
[1] http://www.cms.hr/system/article_document/doc/403/CPS_and_AYS_-_Report_on_arbitrary_and_unlawful_practices_by_the_Ministry_of_Interior_and_the_Security_and_Intelligence_Agency__related_to__non_approval_of_international_protection_or_status_of_foreigners_in_Croatia.pdf
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