Noch immer bleibt die Balkanroute von zahlreichen Migranten stark frequentiert, welche sich in der Hoffnung auf ein besseres Leben gen Nord- und Westeuropa begeben. Auch wenn die geringere Medienpräsenz den gegenteiligen Anschein erweckt, so war die Zahl der Flüchtenden im letzten Jahr deutlich höher als noch 2019, Tendenz weiterhin steigend. Zwischen dem Nicht-EU-Staat Serbien und EU-Mitglied Rumänien ist letztes Jahr die Anzahl der versuchten illegalen Grenzübertritte im Vergleich zum selben gemessenen Zeitraum 2019 um ganze 600% gestiegen. Migrationsexperten gehen davon aus, dass dieser Wert gar noch drastischer steigen könnte, wenn die Pandemie erst am Abflauen ist – eine derartige Korrelation konnte man im Zuge der Lockdown-Lockerungen Serbiens vergangenen Mai bereits feststellen.

Nicht nur durch striktere Grenzkontrollen oder gar -schließung, wie im Falle Ungarns, sondern auch durch illegale Push-backs wird dem Migrantenstrom ein erheblicher Stein in die Route gelegt. Durch dieses gesetzeswidrige Zurückdrängen der Migranten bleibt ihnen ein Grundrecht, nämlich das Recht auf Asyl, verwehrt. Allein im Jahr 2020 soll es seitens der kroatischen Grenzpolizei zu über 16.000 illegalen Push-backs gekommen sein, 60% von ihnen liefen zudem gewalttätig ab. Diesen illegitimen Prozess, von Migranten selbst als „gejm“ – also Spiel, bezeichnet, müssen Einige im zweistelligen Bereich wiederholt durchführen, bis der Grenzübergang letztlich gelingt. Andere kapitulieren.

Dabei wäre auch Kroatien lediglich ein Transitland inmitten der Balkanroute, denn die meisten der Migranten haben Deutschland, Österreich oder Frankreich als Endzielländer vor Augen, wo sie sich Arbeit erhoffen. Doch davon sind sie noch weit entfernt: Abgeschottet in Baracken oder provisorischen Zelten hausend, ohne Elektrizität und fließend Wasser, sowie ohne Zugang zu medizinischer Versorgung, sind ein Großteil der Migranten auf die Hilfe von NGOs und Freiwilligen angewiesen. Diese versorgen sie mit Grundnahrungsmittel, sammeln Kleiderspenden für die Geflüchteten und leisten medizinische Nothilfe. Manche warteten für ihr nächstes „Gejm“ das Ende des Winters ab, um sich zumindest der Gefahr der Kälte und des Passierens der Gebirgsübergänge nicht aussetzen zu müssen – weswegen nun mit dem Einsetzen des Frühlings die Zahl der versuchten oder erfolgten Grenzübertritte weiter ansteigen dürfte.

Wer sich allein nicht an das aussichtlos scheinende „Gejm“ heranwagt, nimmt oftmals die Hilfe von illegalen Schmugglern an. Insgesamt gibt es auf dem Westbalkan drei Haupt-Schmuggelzonen, jede von ihnen befindet sich an einer EU-Außengrenze. So trifft man an der Grenze zwischen Griechenland und Nordmazedonien oder Albanien, zwischen Bosnien und Herzegowina und Kroatien oder zwischen Serbien und Ungarn oder Rumänien auf erhöhte Schmuggel-Aktivitäten. Insgesamt macht die illegale Branche auf dem Westbalkan pro Jahr einen Umsatz von circa 50 Millionen Euro.

Das spiegelt sich in den Preisen für den illegalen Service wider. Denn das vermeintliche Privileg, einen solchen Dienst in Anspruch zu nehmen, kann sich nicht jeder leisten: Von 20 Euro Kosten für einen Transport durch Montenegro bis an die Grenze zu Bosnien und Herzegowinas, wohlgemerkt ohne Grenzübertritt, bis hin zu an die 20.000 Euro für einen „package deal“ für das Schmuggeln über mehrere Landesgrenzen, sind solche Transportdienste für Migranten ein wahres Luxusgut.

Garantie, dass man für das Geld bekommt, was man sich erhofft, nämlich eine sichere und problemfreie Grenzübertretungen, gibt es keine. Garantie, dass das Leben einmal im Zielland angekommen so ablaufen wird, wie es der Traum vieler ist, ebenso wenig.

 

Quellen:

https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-02/flucht-europa-kroatien-bosnien-herzegowina-grenze-push-backs

https://balkaninsight.com/2021/05/10/balkan-migrant-smuggling-business-worth-e50m-a-year-report/

https://www.nzz.ch/international/balkanroute-mehr-migranten-unterwegs-ld.1596097

https://www.youtube.com/watch?v=O-_lkhDwx4E

Bildquelle: https://balkaninsight.com/2019/10/21/bosnia-mayors-threat-to-migrant-camp-sparks-crisis-fears