Der Grenzübertritt von Montenegro nach Albanien ist sehr unaufgeregt – der Bus hat quasi gerade erst Podgorica, die Hauptstadt Montenegros, verlassen, und ist schon in Albanien und dort in der fünft größten Stadt Albaniens, Shkoder. Gut, denkt sich die Reisende dann, die Sprache ändert sich, aber ansonsten – geschichtlich gesehen war doch überall Kommunismus, nicht wahr? Die Antwort darauf kann nur lauten „Nicht wahr!“. Genauer gesagt sind die Auswirkungen der unterschiedlichen kommunistischen Systeme gar nicht zu übersehen.
Jugoslawien war zu seiner Blütezeit das wirtschaftlich stärkste Land im südlichen Osteuropa. Es war ein blockfreier, sozialistischer Staat, der von 1945 bis 1992 existierte und sechs Teilrepubliken umfasste – Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro und Mazedonien, zusätzlich dazu hatten die beiden in Serbien gelegenen Provinzen Kosovo und Vojvodina einen Autonomie-Status. In Jugoslawien herrschte ein ganz eigener Kommunismus, der sich unter Josip Broz Tito von der Sowjetunion ab- und zum Westen hinwandte. Generell galt der Kommunismus unter Tito als Arbeiterselbstverwaltung und garantierte den Einwohnenden sehr viel mehr Freiheiten und Wohlstand als in anderen kommunistischen Staaten.
Im Nachbarstaat Albanien nahm der Kommunismus ganz andere Wesenszüge an. Unter Enver Hoxha entwickelte sich Albanien zu einem abgeschotteten, wirtschaftlich untragbaren Staat, der sich auf Kontrolle und Terror der eigenen Bevölkerung durch die Geheimpolizei, Sigurimi, begründete. Während Albanien sich mit Ende des zweiten Weltkrieges mal an Jugoslawien, mal an die Sowjetunion, mal an China annäherte, blieb es schlussendlich doch isoliert, was aufgrund fehlender Ressourcen die Wirtschaftskraft des Landes minimal hielt.
Beide kommunistischen Staaten brachen Anfang der 1990er zusammen – Jugoslawien aufgrund von Unabhängigkeitserklärungen einiger Republiken und bewaffneten Konflikte nach Titos Tod; Albanien konnte ihre desaströse wirtschaftliche Lage nach Hoxhas Tod nicht mehr halten und begann sich nach außen zu öffnen und Wahlen zu zulassen. Gut, denkt sich die Reisende nun wieder, das ist ja jetzt doch auch schon 30 Jahre her – bestimmt sind diese Länder sich jetzt alle recht ähnlich, nicht wahr? Und auch hier lautet die Antwort „Nicht wahr!“. Der Grenzübertritt von Montenegro nach Albanien entführt die Reisende in eine ganz andere Welt, als sie diese aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens gewöhnt war.
Die erste Sache, die wohl auffällt, sind die vielen Esel, die als Transportationsmittel genutzt werden. Dazu kommen vor allem außerhalb der Städte die unzähligen Herden von Ziegen und Schafen, die mal mit Hirte*in, mal mit Hund, mal ganz alleine, durch die Berghänge springen oder gemütlich über die Straßen laufen. Auffällig sind die doch etwas experimentell wirkenden Stromleitungen, gerade in Shkoder. Die teuren Autos aus fernen Ländern springen dazu genau so ins Auge, wie die unzählbaren Baustellen neuer Luxusbauten entlang der adriatischen Küste und in der Hauptstadt Tirana.
Die Reisende sieht ein Land in der Entwicklung, ein Land, in dem die meisten Nahrungsmittel noch selbst angebaut werden, das versucht Tourist*innen genauso wie seine Nachbarländer anzulocken und ihr Potential entdecken und entfalten möchte. Hilfreich sind die (vermutlich teils wahren) Vorurteil über Drogenhandel und Korruption hierbei natürlich ganz und gar nicht. Doch gerade hier versucht Albanien, ihre Außenwahrnehmung zu verändern – präsentiert werden die endlosen Bergketten, die Küstenstreifen, Tirana als florierende Metropole. Und es scheint zu helfen – auf den Straßen kommen sich massenhaft Camper Vans vor allem aus Deutschland und Österreich in die Quere, um dieses Stück Europa, über das dann doch relativ wenig bekannt ist, zu erkunden. Somit scheint Albanien die Länder des ehemaligen Jugoslawiens als Abenteuerdestination im südlichen Europa abzulösen, die nun eh schon stabile Infrastruktur bieten.
Nichtsdestotrotz kann man Albanien ihr Erbe des Kommunismus und der Abschottung und der unvorteilhaften Politiken ansehen – es wird abzuwarten bleiben, wie sich die Situation verändert, aber auf den ersten Blick erscheint es jedoch, ein Schritt in eine neue Richtung zu sein.