Aleksander Janollari
Albanien steht seit Jahren im Spannungsfeld von Korruption, politischer Instabilität und wachsenden Spannungen zwischen Regierung und Opposition. Trotz dieser Herausforderungen bleibt die Reaktion der Europäischen Union zurückhaltend. Statt harte Kritik zu üben oder Reformen stärker zu fordern, scheint Brüssel Stabilität über Demokratie zu stellen. Doch warum?
Albanien befindet sich in einem politischen und gesellschaftlichen Ausnahmezustand, der durch anhaltende Korruption, die beispiellose Unterdrückung der Opposition (eine Vorgehensweise, die nur in autokratischen Ländern zu sehen ist) und eine umfassende Kontrolle der Staatsmacht und Justiz durch die Sozialistische Partei gekennzeichnet ist. Premierminister Edi Rama, der seit 2013 an der Macht ist, sieht sich immer wieder heftiger Kritik ausgesetzt, doch während die albanische Gesellschaft verzweifelt nach einem Ausweg aus dieser Krise sucht, scheint eine seriöse Reaktion der Europäischen Union nicht in Sicht zu sein. Die Parlamentswahlen im April 2021 waren ein wichtiger Wendepunkt. Trotz massiver Stimmenkauf und Manipulation wurde die Wahl von internationalen Beobachtern erstaunlicherweise als „fortschrittlich“ bewertet. Ein Urteil, das viele als beschönigend empfinden. Die Sozialistische Partei nutzte staatliche Ressourcen, die Justiz und die Unterstützung vieler kriminellen Gruppen in einem nie dagewesenen Ausmaß, um sich an der Macht zu halten. Laut lokalen Berichten wurde die Kontrolle über staatliche Institutionen zur Waffe gegen die Opposition eingesetzt. So wurden nicht nur Journalisten, sondern auch politische Gegner und Aktivisten, die gegen die Regierung protestierten, systematisch eingeschüchtert.
Ein besonders einschneidendes Beispiel ist der Fall des ehemaligen Präsidenten und Premierministers des Landes Sali Berisha, der seit einigen Monaten unter Hausarrest gestellt steht, nachdem ihm die Justiz Korruption und Machtmissbrauch (obowhl das Verfahren fraglich und fehlerhaft durchgeführt ist) vorgeworfen hatten. Berisha, der die Opposition anführt und ein scharfer Kritiker von Ramas autoritärem Kurs ist, sieht sich einer massiven Verfolgung ausgesetzt. Die Entscheidung, ihn unter Hausarrest zu stellen, wurde von vielen als politisch motiviert angesehen, um ihn aus dem politischen Diskurs zu drängen und oppositionelle Stimmen zu unterdrücken. Was noch allarmierender ist, ist die Tatsache, dass die EU und die Amerikaner mit ihrem Schweigen diesen Prozess gesegnet haben und davor die Augen verschließen.
Besonders besorgniserregend ist die unmittelbare Kontrolle über die Justiz. Ursprünglich wurde 2016 eine Justizreform eingeführt, die als Fortschritt auf dem Weg zur europäischen Integration angesehen wurde. Doch in der Realität ist die Unabhängigkeit der Justiz stark eingeschränkt. Kritische Richter und Staatsanwälte werden unter Druck gesetzt oder sogar aus ihren Ämtern entfernt, während regierungsnahe Kandidaten wichtige Posten besetzen. Diese Entwicklungen haben das Vertrauen des albanischen Publikums in die Justiz weiter untergraben und eine Kultur der Straflosigkeit gefördert. Darüber hinaus wurden in jüngster Zeit mehrere oppositionelle Politiker verhaftet, die sich gegen die Korruption und die Missstände der Regierung ausgesprochen hatten. Diese Aktionen haben nicht nur das Klima der Angst in der politischen Landschaft verschärft, sondern auch die Besorgnis über die Integrität des Justizsystems in Albanien verstärkt. Zahlreiche Berichte über Menschenrechtsverletzungen und das gezielte Vorgehen gegen politische Gegner verdeutlichen die Taktiken der Regierung, um oppositionelle Stimmen zum Schweigen zu bringen (ausgerechnet weniger als Jahr vor den nächsten Parlamentswahlen, die nächsten Sommer stattfinden werden). Ein anderer prominenter Megaskandal ist der um die Müllverbrennungsanlagen, der 2021 ans Licht kam. Bei dieser Affäre geht es um massive Ungereimtheiten bei der Vergabe von Aufträgen zur Errichtung von Müllverbrennungsanlagen, die in manchen Fällen nicht existieren oder außer Betrieb sind. Zahlreiche Regierungspolitiker, einschließlich hochrangiger Beamter, sind in diese Machenschaften verwickelt. Anstatt diese Skandale energisch zu verfolgen, scheint die Justiz jedoch entschlossen, das Thema zu bagatellisieren und die wahren Verantwortlichen, die dadurch Millionen von Euro (Geld von albanischen Steuerzahlern) gestohlen haben und stehlen, nicht vors Gericht zu bringen.
Die EU steht in dieser Situation vor einem Dilemma. Während sie stabilisierende Maßnahmen im Westbalkan verfolgt, ignoriert sie zunehmend die alarmierenden demokratischen Rückschritte in Albanien. Kritiker der EU-Politik argumentieren, dass Brüssel Stabilität über Demokratie stellt und dadurch paradoxerweise autoritäre Tendenzen in Albanien legitimiert, die überhaupt nicht zu den Werten, für die die EU plädiert, passen. Die skeptische Haltung der EU wird auch durch das Ausbleiben konkreter Konsequenzen für die albanische Regierung unterstrichen. Anstatt klare und wirkungsvolle Maßnahmen zu ergreifen, bleibt Brüssel in einer Politik des Abwartens gefangen. Während die Regierung und die EU behaupten, Albanien hätte konkrete Ergebnisse gegen Korruption erzielt, wird die Realität durch die anhaltenden Skandale, das autoritäre Vorgehen gegen die Opposition und das Schweigen des Westens untergraben.
Abschließend ist ein Überdenken der EU-Strategie notwendiger denn je, andernfalls besteht die Gefahr dass die EU unbewusst die autoritären Tendenzen der Regierung legitimiert, die zunehmend die Grenzen der Demokratie überschreitet. Wenn die Union weiterhin in der Illusion des Status quo verharrt, wird sie nicht nur die Zukunft des Landes, sondern auch ihre eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. Die Zeit der leeren Versprechen und ist endgültig vorbei, und die EU kann das albanische Publikum mit dem selben Narrativ nicht länger täuschen. Die Bürger sind sich der alarmierenden Realität ihrer politischen Lage bewusst und haben genug von den Phrasen aus Brüssel, die nicht mit Taten untermauert werden. Die andauernde Erosion demokratischer Werte und die brutale Unterdrückung der Opposition dürfen nicht länger ignoriert werden. Die Albaner verlangen mehr als nur rhetorische Unterstützung – sie verdienen einen echten Partner, der für die Werte eintritt, die die EU selbst propagiert.