Interview mit Dr. Ferdinand Trauttmansdorff – er ist Leiter des Lehrstuhls für Diplomatie I an der Andrássy Universität Budapest und ehemaliger Botschafter Österreichs.
Bitte schildern Sie uns Ihre Laufbahn in groben Zügen!
Meine erste Begegnung mit internationalen Fragen war mein Dienst bei den UN-Friedenstruppen in Zypern 1972. Nach vier Jahren als Assistent am Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen und einem Europarechtsstudium in Brügge kam ich dann ins Außenministerium. Dort war ich als „Spezialist“ fast immer, wenn ich zwischen den Auslandsaufenthalten im Inland tätig war, im Völkerrechtsbüro tätig – insgesamt 11 Jahre. Da bekam ich viel Praxis. 1982 begann meine Auslandslaufbahn, zuerst multilateral in Genf, dann Bukarest, 1985/86 unterbrach ich meine Diplomatenlaufbahn und war im damaligen extrem umstrittenen österreichischen Präsidentschaftswahlkampf für den ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kurt Waldheim engagiert, ein Erlebnis, das mich sehr geprägt hat und meine anschließende Tätigkeit in Washington bestimmte. Nach Washington kam Budapest, danach war ich als Botschafter in Ägypten und Sudan, danach Lissabon, zuletzt in Prag.
Welches Erlebnis hat Sie in Ihrer langen Karriere als Botschafter am meisten geprägt?
Als Diplomat insgesamt die weltweite Diskussion um die Kriegsvergangenheit Kurt Waldheims, als Botschafter in Ägypten der Nahe Osten und der Dialog der Kulturen, als Vorsitzender in der internationalen Holocaust-Task Force die Aufarbeitung unserer Vergangenheit mit den NS-Verbrechen und zuletzt die Herausforderung der Nachbarschaftsdiplomatie in Prag.
Welche Personen haben Sie in Ihrer Karriere am meisten beeindruckt?
Viele Persönlichkeiten, denen ich begegnete, haben mich sehr beeindruckt, unter den persönlich enger bekannten Simon Wiesenthal, Otto von Habsburg und Karel Schwarzenberg.
Von welchen Personen haben Sie am meisten gelernt?
Ich hatte mehrmals außergewöhnliche und unorthodoxe Persönlichkeiten als Chefs, die mir Wege abseits der ausgetretenen Pfade gezeigt haben und mir beigebracht haben, alles zu hinterfragen, der erste war mein Völkerrechtsprofessor in Graz Mitte der 70er Jahre, der uns dazu angehalten hat, uns mit afrikanischer Völkerrechtslehre zu beschäftigen, um unser eigenes Rechtssystem besser zu verstehen.
Welche Trends kennzeichnen Diplomatie im 21. Jahrhundert?
Ein Trend, der sich extrem fortsetzt ist das Auseinanderdriften zwischen innenpolitisch motivierter Außenpolitik der politischen Führungen und den längerfristig handelnden diplomatischen Apparaten. Die digitale Kommunikation hat beide Prozesse teils beschleunigt, teils effizienter gemacht und den politischen Prozess ungleich kurzfristiger. Dabei vergisst man zunehmend, dass es heute wie früher in der Diplomatie um persönliche menschliche Kontakte geht. Und die Kluft zwischen dem ungemein erleichterten digitalen Zugang zu Informationen und dem Vorhandensein von Wissen, diese zu verarbeiten, wird immer dramatischer. Jedenfalls erscheint mir der heutige außenpolitische und diplomatische Prozess krisenanfälliger. Die Gefahren lauern und werden immer spürbarer.
Bitte erzählen Sie uns von Ihrem größten beruflichen Erfolg!
Wissen Sie, Diplomatie ist keine Sache des persönlichen Erfolgs. Je mehr sich der Diplomat selbst zurück nimmt, desto erfolgreicher ist er oft, auch wenn der Erfolg selten sichtbar und langanhaltend ist. Aber es gibt Momente der Befriedigung, so zum Beispiel, als Präsident Bush im Juni 2006 gesagt hat, dass er Guantanamo schließen möchte und meine Freunde und ich ein klein wenig dazu beitragen konnten. Dass dieses Gefängnis bis heute nicht geschlossen ist, ist die längerfristige Enttäuschung aber auch Realität.
Wenn Sie einem jungen Diplomaten eine einzige Lektion mit auf den Weg geben könnten, welche wäre das?
Eine Lektion wäre zu wenig. Jeder junge Diplomat sollte von Anfang an damit beginnen, sich eine Kontaktdatei zu machen und Notizen, was ihn oder sie mit den neu kennen gelernten Personen verbindet. Das zweite ist der Blick hinter die Kulissen: Sich nie von oberflächlichem Eindruck täuschen lassen und alles hinterfragen. Sprachen lernen von allen Ländern in denen man tätig ist und so tief als möglich in die Kultur eindringen. Und wenn es die Möglichkeit gibt, mit einer multilateralen Aufgabe anfangen, das ergibt von Anfang an eine größere Übersicht.
Wie ist es Ihrer Ansicht nach um die europäische Nachbarschaftspolitik bestellt?
Wenn wir von der EU-Außenpolitik gegenüber der Nachbarschaft sprechen so ist das ein sehr komplexes Thema, zumal der Raum für eine wirklich gemeinsame europäische Außenpolitik nach wie vor sehr begrenzt ist. Grundsatz aus meiner Sicht: Weg davon, immer nur mit einer Stimme sprechen zu wollen, die wenig zu sagen hat. Stattdessen vielen Stimmen und über viele Kanäle wirken, aber dafür müssen wir uns im Grundsatz einig werden und laufend koordinieren. Dafür sollte der Europäische Auswärtige Dienst primär eingesetzt werden. Das gilt etwa für die Russland- und Ukraine-Politik und die Politik gegenüber den anderen ehemaligen Sowjetstaaten. Im Nahen Osten und in Nordafrika sollten alle Anstrengungen auf Stabilität und Konfliktfreiheit bei gleichzeitiger Bemühung um Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz gerichtet sein. Der Westbalkan ist nach wie vor ein Thema für die EU-Erweiterungs- und Anbindungspolitik, allerdings getragen von Realismus. Die Türkei, die auf die Wiederkehr eines islamisch determinierten Ottomanismus zuzusteuern scheint, braucht in der EU und in den Mitgliedstaaten starke und kantige Partner, die ein gutes Spezialverhältnis anstreben, aber die Grenzen deutlich aufzeigen.
Brexit, Trump, Flüchtlingskrise – Sie gelten als Befürworter einer auf persönliche Kommunikation ausgerichteten Diplomatie. Wo liegen die Zukunftsperspektiven der EU im Miteinander?
Ja, das sind genau die Themen für eine Diplomatie der menschlichen Kommunikation. Wo bringt sich die EU-Diplomatie koordiniert gegenüber der britischen Öffentlichkeit ein? Hier braucht es eine Einflussdiplomatie auf allen Linien und mit allen politischen und diplomatischen Ressourcen, wenn verhindert werden soll, dass sich die Fronten im Interesse der Brexit-Befürworter verhärten und das Beispiel unter anderen Mitgliedstaaten Schule macht. Washington ist ein offenes System und alle menschlich verbindenden Ressourcen sind einzusetzen, um die Beziehungen mit unserem wichtigsten Partner berechenbar und krisenfest zu gestalten. Die Flüchtlings- und Migrationspolitik hat eine Innen- und Außendimension, überall kommt es auf die Pflege und den Ausbau menschlicher Kontakte an.
Würden Sie türkische Wahlkampfauftritte auf deutschem Boden eher erlauben oder verbieten?
Ich wäre wohl bei der Genehmigung der Wahlkampfauftritte – unter Voraussetzung der notwendigen Sicherheitsprüfung großzügig gewesen, um die Möglichkeit hintan (hintenan) zu halten, das Verbot solcher Auftritte auszuschlachten. Gleichzeitig hätte ich – das ist meine juristische Seele – darauf aufmerksam gemacht, dass die Frage der Staatsbürgerschaft der Versammlungsteilnehmer geprüft werden wird, da in Österreich der Erwerb einer ausländischen Staatsbürgerschaft ohne Genehmigung automatisch zum Verlust der österreichischen Staatsangehörigkeit führt. Das wurde schon bisher vernachlässigt und die Auswüchse der letzten Wochen eine Folge davon, damit hat man das Wesen des Staatsbürgerschaftsrechts stilllschweigend ausgehöhlt.
Vielen Dank.
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