Ich bin mir sicher, ich bin nicht die Einzige der es so geht. Der Krim-Konflikt. Die Medien haben zwar über ihn berichtet, doch richtig auskennen tut man sich trotzdem nicht. Welchen Fakten darf man trauen? Welcher Seite soll man Recht geben? War das Referendum fair? Oder doch alles gefaked? Und wie sieht die Lage auf der Krim und in der Ost-Ukraine eigentlich heute aus?

Im August hatte ich die Gelegenheit vier Studenten und Studentinnen aus der Krim-Region zu interviewen. Auf einer sonnigen Wiese in den Alpen haben sie mir ihre ganz persönlichen Eindrücke dessen was vor, während und nach dem Referendum am 16. März 2014 passiert ist, berichtet. Das Interview ist in fünf spannende Teile gegliedert und kann auf fomoso.org nachgelesen werden.

Nastya S. (25) arbeitet an der School of Journalism (UCU) an der Katholischen Universität der Ukraine. Zudem engagiert sie sich für ein besseres Bildungssystem. Sie stammt aus Donezk und lebt seit drei Jahren in Lviv, im Westen der Ukraine.

Praskrovja B. (26) arbeitet für das „Educational Human Rights House“ und stammt aus Yalta (Krim). Vor drei Jahren hat sie die Krim verlassen und ist in den Norden der Ukraine gezogen. Ihre Mutter ist gebürtige Russin, und ihr Vater stammt aus der Ukraine.

 

Interview:

Dem amtlichen Endergebnis zufolge, haben knapp 97% der WählerInnen am Tag des Referendums für eine Annexion gestimmt. Die Wahlbeteiligung habe rund 82% betragen. Anscheinend war der Großteil der Bevölkerung Krim tatsächlich für eine Wiedervereinigung mit Russland?

Nastya: Die Invasion, sie hat nicht von einem Tag auf den anderen stattgefunden. Ich kann mich erinnern, dass ich als kleines Mädchen mit meinen Eltern und Verwandten immer zuerst die ukrainischen Nachrichten gesehen habe, und dann die russischen. Wir haben keine Nachrichten aus Polen oder anderen Nachbarländern gesehen. Wir haben also nur von dem, was in Russland geschehen ist, erfahren. Diese Art von „Doppelidentität“ mit der Ukraine und mit Russland, sie war sehr tief in uns verankert. Also, man kann nicht einfach kommen und ein Land besetzen es sei denn, es war, erm …

Praskrovja: … alles dafür vorbereitet.

Nastya: Genau, es sei denn, man hat sich bereits viele Jahre darauf vorbereitet. Bücher waren auf Russisch. Straßenschilder waren auf Russisch. Und ja, da ich in einer Region gelebt habe, in der man eben auch sehr viel russisch gesprochen hat, habe ich diese Doppelidentität nicht als Problem angesehen. Aber als ich Journalismus studiert habe, hat mir mein Professor an der Universität erklärt, – ich glaube es war kurz vor dem Maidan – dass ungefähr 70% der Medien auf Russisch sind. Alles hat darauf hingearbeitet zur rechten Zeit zu erfolgen.

Praskrovja: Ja, es war sehr viel Manipulation ist im Spiel. Während dem Maidan hat man in Kiew u.a. für die ukrainische Sprache protestiert. Man solle aufpassen, die Leute würden bereits so viel russisch sprechen. Man wollte die Leute dazu motivieren, sich wieder mehr für die Geschichte der Ukraine und ihre Kultur zu interessieren. Russland hat die Medien und die Maidan-Proteste für sich genutzt. Um den Leuten auf der Krim und in Donezk (Stadt im Osten der Ukraine) zu zeigen: „Seht ihr das? Leute mit Aggressionen! Sie werden kommen und die Russen töten.“ Dabei waren das nur ein paar von hundert anderen Sachen, die man am Maidan forderte, um die Ukraine zu verbessern.

Ungefähr eine Woche vor dem Referendum gab es noch einige wenige Proteste dagegen. Ich habe mich ihnen ebenfalls angeschlossen. Die Menschen riefen: „Wir wollen Frieden. Wir wollen keinen Krieg. Und wir wollen bei der Ukraine bleiben.“ Viele Leute und auch Milizen waren stark „Pro Russland“ und sehr aggressiv. Das war angsteinflößend. Deshalb hatten die Leute am Ende auch Angst davor, an Protesten teilzunehmen. Sie haben nur mehr in kleinen Rahmen stattgefunden..

 

Beschreibe bitte, wie du den 16. März 2014 erlebt hast.

Praskrovja: Am Tag des Referendums. Am Tag, wie ich ihn  nenne, des „großen Theaters“. Für die Leute in Russland. Für die Leute in Europa. An dem Tag war ich selbst auf den Straßen von Yalta und bin wählen gegangen. Da fragte mich plötzlich eine Frau, wo sich das Wahllokal befinde. Ich sagte es wäre da, wo es immer ist. Als ich von ihr wissen wollte woher sie käme, rannte sie weg.

Zudem, hat ein Freund von mir versucht, öfter zur Wahl zu gehen. In den Wahlbehörden gab er vor, seinen Ausweis vergessen zu haben. Es hat funktioniert, er durfte wählen. Als Beweis, hat er mehrere mitgenommen. Wahrscheinlich gab es wirklich Leute, die dazu angeheuert wurden öfter wählen zu gehen und „Pro-Russland“ zu stimmen.

 

In den Medien schien die Bevölkerung der Krim das Ergebnis des Referendums gefeiert zu haben.

Praskrovja: Nach dem Referendum haben die russischen Medien alles dafür getan zu zeigen, dass die Leute das Ergebnis feiern. Also ja, natürlich, viele Leuten waren auch glücklich über das Resultat des Referendums. Es gab sogar Leute, die wollten unbedingt, dass das Referendum durchgeführt wird.

Aber es ist wichtig sich im Kopf zu behalten, dass all die Jahre der „fake News“ die Leute hat zu Zombies werden lassen. Sie dachten, sie beschützen ihre Familie mit der Annexion. Ich habe einfach das Gefühl, dass die Leute angelogen wurden. Sie erkennen die Wahrheit nicht. Wie kann ich auf sie wütend sein? (Was ich aber trotzdem bin). Wenn mir also Leute sagen: „Die Mehrheit hat für Russland gestimmt“, dann sage, das mir das egal ist. Weil die Wahl von Grund auf nicht fair ablaufen konnte.

 

Bildquelle: https://www.alphagamma.eu/opportunities/european-forum-alpbach-2017