Wieder einmal fahre ich in den alljährlichen Weihnachtsurlaub in ein kleines Städtchen in Bosnien und Herzegowina. Dabei stelle ich mir jedes Mal die Frage, wie mein Leben ausgesehen hätte, wenn ich dort aufgewachsen wäre. Wäre ich genauso multikulturell und liberal eingestellt? Leider weiss ich darauf keine konkrete Antwort, jedoch weiss ich, dass Erziehung und das soziale Umfeld eine Person sehr stark prägen können. Wenn Kinder schon von klein auf voneinander getrennt aufwachsen, dann ist es nicht verwunderlich, wenn sie auch als Erwachsene keinen oder nur wenig Kontakt miteinander pflegen.
Das Phänomen, von dem ich spreche, nennt sich „Zwei Schulen unter einem Dach“ und man findet es hauptsächlich in den ethnisch gemischten Kantonen in der Föderation Bosnien und Herzegowina. Kroatische und bosniakische Kinder besuchen das gleiche Schulgebäude, werden jedoch getrennt unterrichtet. Es gibt separate Eingänge für die Schüler, die Schuladministration ist getrennt und die Unterrichtsfächer sind verschieden. Oftmals besuchen die Kinder die Schule in verschiedenen Schichten, was den interethnischen Kontakt ganz verunmöglicht. Die kroatischen Kinder lernen die Sprache, Geschichte und Geographie Kroatiens während bosniakische Kinder „bosnisch“ lernen und eine andere Sichtweise der Geschichte – inklusive des Krieges – vermittelt bekommen.
Aufgrund dieser Aufteilung des Schulwesens, das eigentlich nur als eine temporäre Massnahme nach dem Krieg vorgesehen war, lernen die Kinder verschiedene Versionen der Geschichte des Landes. Das fängt schon mit der Geschichte der osmanischen Okkupation an und endet mit der Geschichte des Balkankrieges. Wenn es jedoch keine gemeinsame Version der Geschichte gibt, wie soll dann eine gemeinsame, multikulturelle Zukunft konstruiert werden? Bei drei unterschiedlichen Geschichtsversionen, Sprachen und Landeskunden, kann man sich berechtigterweise fragen, ob man überhaupt ein gemeinsamer Staat ist?
Leider sind die ethnisch getrennten Schulen immer noch Realität in Bosnien und Herzegowina und es tut sich zurzeit wenig auf politischer Ebene, um dies zu ändern. Schulen sollten ein Ort sein, die liberales Gedankengut, selbständiges Denken und Integration fördern – und nicht Segregation.
In diesem kleinen Städtchen in Zentralbosnien gibt es zwar ein Jugendzentrum, das sich bemüht, Kinder und Jugendliche aus beiden Gruppen zusammenzubringen, jedoch ist der Besuch freiwillig und setzt natürlich auch die Initiative der Eltern voraus. Oft ist es aber so, dass die Eltern den Kindern nicht erlauben, das Zentrum zu besuchen. Deshalb wäre ein gemeinsames Schulwesen von grösster Bedeutung. Kleine Schritte wurden schon gemacht: So werden Kinder in Berufsschulen gemeinsam unterrichtet, jedoch findet der Unterricht in Geschichte, Sprache und Landeskunde auch hier getrennt statt. Fehlender interethnischer Kontakt im Schulwesen macht sich auch in anderen Bereichen bemerkbar: Jugendliche besuchen keine gemeinsamen Restaurants, Bars oder Clubs und gemeinsame kulturelle Veranstaltungen sind ebenfalls Mangelware. Die aktuelle Situation ist zwar nicht berauschend, doch vergleicht man es mit der Situation vor 10-15 Jahren, gibt es heute mehr interethnische Kontakte – vor allem im Berufsleben.
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