„Ich weiß, dass ihr vor der Wahrheit Angst habt, aber beschmutzt mit euren verräterischen Fressen nicht den Namen meines […] Bruders. Ihr seid diejenigen, die ihn umgebracht haben; Kanallien seid ihr!“ (tvn24.pl 2017).

Mehr als sieben Jahre sind es nun seit des Flugzeugabsturzes von Smolensk her, doch noch nie waren dessen langfristigen Auswirkungen, wie kürzlich auch am „emotionalen Ausbruch“ des derzeitigen PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński beispielhaft, so real. Staatliche Strafrechtsverfolgungen von ehemaligen Regierungspolitikern, darunter des Präsidenten des Europäischen Rates Donald Tusk, Einschränkungen oppositioneller Protestbewegungen zu Gunsten monatlicher Gedenkmärsche von Smolensk, offenes Infragstellen der polnisch-russischen Beziehungen sowie die Mythologisierung des polnischen Präsidentenpaares Kaczyński lassen sich vor allem dann gut rechtfertigen, wenn man eher von einem „Anschlag“ und weniger von einem „Unglück“ der polnischen Regierungsmaschine in Smolensk ausgeht. So glaubten auch im letzten Jahr weiterhin knapp ein Drittel der Polen, dass es sich bei der Katastrophe um einen Anschlag gehandelt haben müsste, während über die Hälfte der Polen überzeugt war, dass die Ursachen bis dato nicht aufgeklärt wurden (Wiadomosci.pl 2015; Polityka 2016).

Im Folgenden soll jedoch weniger rekapituliert werden, wie sich die sog. „Anschlagstheorie“ in dem gesellschaftlichen Diskurs Polens nach und nach etablieren konnte, sondern es soll vielmehr geschaut werden, welche tatsächliche Konsequenzen die politische Instrumentalisierung dieser Katastrophe mit sich zieht.

Staatlichen Strafrechtsverfolgungen von ehemaligen Regierungspolitikern

Konkret handelt es sích bei der Strafrechtsverfolgung des ehemaligen polnischen Premierministers Donald Tusk um vernachlässigte Handlungspflichten staatlicher Behörden, welche u.a. in einer verspäteten Leichensektion sowie in der partiellen Verwechslung der Särge der Opfer von Smolensk resultierten. So wurde nicht nur Tusk, sondern auch andere Politiker der letzten liberalkonservativen Regierung, darunter die ehemalige Premierministerin Ewa Kopacz, der Außenminister Radosław Sikorski oder der Jusitzminister Krzysztof Kwiatkowski nach dem Regierungswechsel im Oktober 2015 mehrmals als Zeugen nach Warschau bestellt. Dass jenen jedoch irgendwelche strafrechtliche Sanktionen drohen, ist höchst unwahrscheinlich (tok.fm 2017). Dass eine politische Instrumentalisierung bzw. Inszenierung auf jeweils beiden Seiten der Streitparteien stattfand, war und ist mehr als evident. So gab Jarosław Kaczyński noch vor der achtstündigen Befragung von Donald Tusk diesem zu wissen, dass „D. Tusk Angst haben sollte“. Dagegen versammelten sich zahlreiche Anhänger des Präsidenten des Europäischen Rates bei seiner Ankunft jeweils auf dem Hauptbahnhof in Warschau und vor der Kanzlei der Bundesstaatsanwaltschaft. Nach der Vernehmung stellte Tusk fest, dass „ich mich nicht zu fürchten
brauche; Herr Kaczyński wird mich nicht erschrecken“ (tvn24.pl, 2017).

So dient das Thema Smolensk in diesem Fall der Fortsetzung der jahrzehntelangen persönlichen Animositäten zwischen PO und PiS, aber insbesondere der Mobilisierung der eigenen Wählerschaften. Während in regierungsnahen Medien Tusk nicht nur in politischer, sondern nun auch in juristischer Hinsicht als delegitimiert dargestellt wird, sieht die eher liberal-konservativen Presse in Tusk, überspitzt formuliert, eine Art „letzten Hoffnungsträger“ bzw. „Bastion“ gegen die „irrational handelnde“ Regierung (Rzeczpospolita 2017).

Einschränkungen oppositioneller Protestbewegungen zu Gunsten monatlicher Gedenkmärscher von Smolensk

Während die strafrechtliche Verfolgung von prominenten Oppositionellen insbesondere deren öffentliches Ansehen ins Wanken bringen soll, kann der im Dezember 2016 beschlossene und vom Verfassungsgericht (sowie von den sog. „Doublern“, vgl. FOMOSO 2017) bestätigte Gesetzesentwurf zur Priviligierung von „zyklischen Versammlungen“ als eine Form der Unterstützung des „harten Elektorats“ von PiS gesehen werden. Seit der Katastrophe von Smolensk finden nämlich monatlich in Warschau Gedenkmärsche statt, auf denen auch hochrangige PiS-Politiker, darunter eben auch Jarosław Kaczyński, nicht nur an die Opfer gedenken, sondern auf denen auch gegen andere Parteien scharfgemacht wird (Fakt.pl 2017). So wurde u.a. in dem von nationalen und internationalen Experten stark kritisierten Gesetz festgehalten, dass Organisatoren, im Falle eines Verbots ihrer Demonstration (bzw. Gegendemonstration) durch die Landesexekutive, keine Berufung gegen deren Entscheidung einlegen können. Zwischen Demonstrationen und Gegendemonstrationen muss weiterhin ein Mindestabstand von 100 Metern vorherrschen (Oko.press 2016).

Mythologisierung des polnischen Präsidentenpaares Kaczyński

Obgleich seit der Regierungsübernahme ein Quasi-Kult um das Präsidentenpaar Kaczyński und v.a. des Präsidenten in Form von Errichtungen von Gedenkmälern, Benennungen von Straßen sowie Ernennungen zu Patronen landesweit verstärkt zu beobachten ist (tvp.info 2017), bestand der erste Schritt hin zu einer Mythologisierung des verstorbenen Ehepaares in deren Beisetzung auf der Burg Wawel in Krakau (neben weiteren großen Persönlichkeiten der polnischen Geschichte) bereits unter der vorherigen Regierung. Entsprechend der „Anschlags-Theorie“ gelten die Opfer nämlich als „Gefallene im Dienste des Vaterlands“ (Newsweek.pl 2016); die Glorifizierung des ehemaligen Präsidenten dient dabei vor allem der Legitimierung der jetzigen Regierung, zumal diese die „rechtmäßigen Nachfolger“ darstellen sollen. Dabei erscheint diese Entwicklung vor dem Hintergrund der vergleichsweise bescheidenen politischen Erfolge von Lech Kaczyński und seiner schon seit Februar 2008 relativ geringen Beliebtheitswerte besonders widersprüchlich (derStandard.at 2010).

Infragstellen der polnisch-russischen Beziehungen durch den Verteidigungsminister

Es bedürfte eines gesonderten Artikels, um all jene Zitate und Verschwörungstheorien des jetzigen polnischen Verteidigungsministers Antoni Macierewicz aufzulisten, in denen er die russische Regierung des terroristischen Handelns in der Katastrophe von Smolensk bezichtigt (vgl. Newsweek.pl 2016; natemat.pl 2017). Dass diese Äußerungen den ohnehin schwierigen Status der polnisch-russischen Beziehungen vor dem Hintergrund der konfliktbeladenen Geschichte und der gegenwärtigen Konflikte in den ehemaligen Sowjetrepubliken zusätzlich verschärfen, äußert sich u.a. in der Einstellung des „kleinen Verkehrs“ zwischen Polen und der Oblast Kaliningrad. Paradoxerweise weisen einige Berichte jedoch daraufhin, dass sich im Umfeld des Verteidigungsministers prorussische Aktivisiten befinden sollen (faz.net 2017; natemat.pl, 2017).

Nichtsdestoweniger erscheint eine Normalisierung der Beziehungen oder gar nur eine Annäherung mit den „russischen Mördern“ höchst unwahrscheinlich; auch hier dient die Instrumentalisierung der Katastrophe zur Stärkung der Position von Macierewicz in der eigenen Partei. Denn im Gegensatz zur polnischen Premierministerin oder zum Präsidenten genießt dieser ein bereits langfristig hohes Ansehen im „harten Elektorat“ von PiS und gleichermaßen beim eigentlichen Machtzentrum der Partei, dem PiS-Parteivorsitzenden Jarosław Kaczyński.

Schlussendlich wird der „ewige Fluch“ von Smolensk auch in den nächsten Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten in der polnischen Politik weiterbestehen – die Versuchungen zur Instrumentalisierung dieses Unglücks für die eigene Legitimierung, v.a. auf Seiten von PiS sowie innerhalb der Partei, scheinen einfach zu groß zu sein.

 

Quellen:

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faz.net 2017. Die Moskau-Reise des Herrn Kownacki. Available at:
http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/polens-regierung-pflegt-enge-kontakte-zu-russland-15100209.html [Accessed 29 August 2017].

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Newsweek.pl 2016. Antoni Macierewicz uszczęśliwia Rosję. Available at:
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Polityka 2016. Die Lüge von Smolensk in: Politiyka, Wochenzeitschrift Nr. 15 vom 06.04-12.04.2016, S.10-12.

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Bildquelle: http://www.dw.com/en/eu-chief-donald-tusk-appears-at-smolensk-jet-crash-hearing/a-39952780