Der „Bertelsmann Transformation Index“ (BTI) ist eine auf Experteneinschätzung basierende Studie, die den Stand sowie die politische Gestaltung der politischen und wirtschaftlichen Transformationsprozesse misst. Im BTI 2016 (Länderbericht: Ungarn) wird Ungarn als eine defekte Demokratie bezeichnet, sowie der Regierung eine moderate Managementleistung ausgestellt. Seit dem Fidesz-Sieg 2010 haben sich diese Werte konstant verschlechtert. In dieser Zeit entstanden politische Instrumente, die einen starken Staat mit bisweilen autoritären Tendenzen forcieren – mit weitreichenden Folgen. Der politische Wettbewerb ist verzerrt, die Unabhängigkeit der Gerichte eingeschränkt, die Liberalisierung der Massenmedien nicht mehr gegeben (u.a.). Gleichzeitig fehlen der EU Instrumente (Überprüfungs- und Anreizmechanismen) dieser Aushöhlung wirksam zu begegnen. Viktor Orbán braucht keine politischen Alternativen. Er strebt nach einem System das die wichtigsten Elemente politischer Macht in seiner Person monopolisiert.
Der BTI, oder eher die Experten stellen diese Ergebnisse treffend dar, doch fehlt im Index eines – die direkte Wertung durch die Bevölkerung selbst. Für die Demokratiemessung ist ein vermehrter Einbezug der Selbstwahrnehmung vonnöten. Interessen und Erwartungen der Bevölkerung und deren Wertungen zu politischen Ergebnissen werden zu sehr vernachlässigt, indem im BTI davon ausgegangen wird, dass eben Prozesse der Veränderung nur von der Regierung beeinflusst werden. Zu groß ist aber die Rolle des Volkswillens in der praktischen Politik, um sie nicht zu berücksichtigen. Zwar gibt es im BTI das Kriterium der „Politischen Partizipation“, doch ist dieses Augenmerk auf Wahlen, Veto-Möglichkeiten, Vereinigungs- und Meinungsfreiheit gerichtet. Die Wahrnehmung der Demokratie – der Glaube und die Frustration daran – durch die Bevölkerung selbst muss hinzugezogen werden, um mögliche Illusionen über den tatsächlichen Stand politischer Entwicklungen aufzulösen. Die Vermessung der Demokratie Ungarns braucht eine zusätzliche Variable, die der Volkskritik.
Die Bevölkerung Ungarns befürwortet den Weg der Regierung, zu undurchsichtig zeigen sich Erfolge der Demokratie aus vorigen Jahrzehnten. Die Unterstützung zur Demokratie in der Bevölkerung Ungarns lässt nach, und unter Berufung auf einen solchen legitimierenden Volksauftrag kann die Fidesz resp. Orbán eine Verbundenheit mit der verklärten „illiberalen Demokratie“ (diese Bezeichnung, aus einer Rede Orbáns vom 26. Juli 2014 entnommen, ist paradigmatisch für den Kurs Ungarns) überhaupt erst deklarieren. Die Regierung inszeniert sich als Verfechter moralischer Integrität; die Bevölkerung ist polarisiert und sucht den Ausweg angestauter Entrüstung in der Stärke eines Mannes. Wo es keine Alternativen gibt, gibt es keinen Raum für Demokratie.
Quellen:
BTI 2016 | Ungarn Länderbericht, verfügbar unter: https://www.bti-project.org/de/4579/laenderberichte/detail/itc/hun/ (Stand 2016-08-20).
[Viktor Orbáns Rede auf der 25. Freien Sommeruniversität in Băile Tușnad (Rumänien) vom 26. Juli 2014, verfügbar unter: http://www.kormany.hu/en/the-prime-minister/the-prime-minister-s-speeches/prime-minister-viktor-orban-s-speech-at-the-25th-balvanyos-summer-free-university-and-student-camp (Stand 2016-08-20).
Bildquelle: http://www.n-tv.de/politik/Juncker-droht-Ungarn-mit-EU-Rauswurf-article15205996.html
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