Während sich der aktuelle Feminismus-Diskurs in den westlichen Ländern bewegt und sich um Themen wie Gendersprache, Gender Pay Gap oder Frauenquoten rankt, rücken viele andere Problemfelder und ganze Regionen in den Hintergrund. Für die internationale Debatte sind sie meist zu spezifisch, doch gebührt auch ihnen mehr Aufmerksamkeit. So soll in diesem Kommentar anhand der Beispiele Lettland, Polen und Bosnien und Herzegowina von Nord nach Süd beleuchtet werden, was Frauen in Mittelost- und Südosteuropa aktuell bewegt.
Lettland ist formal einer der europaweiten Spitzenreiter in puncto Gleichstellung der Geschlechter. 53% aller Manager sind Frauen, es gibt mehr weibliche als männliche Doktoranden und in den MINT-Fächern gleich viele Absolventen beider Geschlechter. Doch gibt es auch in diesem formal sehr emanzipierten Land diverse Schattenseiten. So ist Lettland auch in Bezug auf Gewalt gegen Frauen an der europäischen Spitze. Das Land scheitert daran, die Istanbuler Konventionen umzusetzen, welche präventiv Gewalt gegen Frauen bekämpfen sollen. Viele lettischen Gegner des Übereinkommens fürchten um die traditionelle lettische Kultur, welche trotz allem sehr patriarchal geprägt ist. Auch floriert der Menschenhandel in Lettland, der junge Frauen mit falschen Versprechen ködert und im Ausland in die Prostitution treibt. Ob häusliche Gewalt, Menschenhandel oder erzwungene Prostitution, thematisiert werden diese Missstände in Lettland nur am Rande durch Aktivistinnen oder von oben durch die EU, denn im Land selbst herrscht weites Schweigen und wenig Eigenantrieb zur Besserung der Lage der Frau.
Mehrere hundert Kilometer südlich in Polen beschäftigt Frauen aktuell etwas anderes. Die diesjährig beschlossene Verschärfung des Schwangerschaftsabbruchsgesetzes hat Abtreibungen, die in Polen ohnehin bereits stark reglementiert waren, faktisch verboten. Nur in Extremfällen, etwa wenn die Schwangerschaft durch Gewalt erfolgte, steht Frauen auf legaler Weise die Möglichkeit der Abtreibung zu. Diese striktere Handhabung treibt viele junge ungewollt schwangere Frauen nun ins Ausland oder in die Illegalität und setzt sie somit nicht nur hinsichtlich des Stigmas, sondern vor allem auch medizinisch, großen Gefahren aus. Die Frauenorganisation „Strajk Kobiet“ (Frauenstreik) sowie führende polnische Feministinnen riefen zu Demonstrationen auf, welche trotz enorm hoher Teilnehmerzahl mit ihren Protesten gegen die strenge Abtreibungspolitik der regierenden PiS-Partei die Umsetzung des strittigen Gesetzes nicht verhindern konnten.
Bewegt man sich nun erneut mehrere hundert Kilometer weiter südlich, begegnet man in Bosnien und Herzegowina ganz anderen Missständen, welchen die weibliche Bevölkerung ausgesetzt ist. Im Zuge des Bosnienkriegs erfuhren im Land über 20.000 Frauen sexualisierte Gewalt und einige der zahlreichen Opfer kämpfen noch heute für Anerkennung und Aufarbeitung dessen, was ihnen in den Kriegsjahren angetan wurde. So gründeten sie NGOs, errichteten Frauenzentren oder leiten Workshops über den Umgang mit sexuellen Traumata, um die Versäumnisse des Staates hinsichtlich der vielen ungestraften Gräueltaten gegen Frauen zu kompensieren. Doch Anzeigen gegen Täter verlaufen sich meist im Nirgendwo und ein systematisches Schweigen aus Scham und Angst ist nach wie vor die Folge des tabuisierten Themas.
Anhand dieser drei Beispiele aus Lettland, Polen und Bosnien und Herzegowina wird ersichtlich, mit was für einer Bandbreite an verschiedensten Arten von Problemen und Unterdrückung Frauen zu kämpfen haben. Nun waren dies lediglich wenige Exempel aus der mittelost- und südosteuropäischen Region, aber weisen sie doch darauf hin, dass auch in weiteren Ländern und Kulturen noch so viele mehr Missstände in Bezug auf die Stellung oder dem Umgang mit der Frau vorherrschen, die schlichtweg im allgemeinen Feminismus-Diskurs unter dem Radar fliegen. Selbstverständlich ist es unmöglich, alle regionalen und kulturellen Spezifika in eine so weite Debatte mit einzubeziehen, doch sollte der Blick auch geschärft sein für die Probleme jener Frauen, die sich mit konkreteren aktuellen feministischen Fragestellungen wie nach der korrekte Gendersprache oder nach der richtigen Herangehensweise an Gehaltsverhandlungen noch kaum auseinandersetzen können, da ihnen nicht einmal immer das Menschenrecht der körperlichen Unversehrtheit in seiner Gänze zusteht.
Quellen:
https://www.fr.de/politik/geschlechterkampf-gedankenspiel-10968603.html
https://www.fr.de/politik/starke-frauen-blinder-fleck-13161902.html
https://www.nzz.ch/gesellschaft/abtreibung-in-polen-scham-stigma-und-stolz-der-frauen-ld.1599723
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-01/polen-verbot-schwangerschaftsabbrueche-abtreibungen-verfassungsgericht-demonstrationen-warschau
https://www.iz3w.org/zeitschrift/ausgaben/383_Polizeigewalt/bosnien
https://sz-magazin.sueddeutsche.de/politik/sie-wollten-uns-zerstoeren-aber-wir-haben-ueberlebt-79575
Bildquelle: https://www.n-tv.de/politik/Polen-fordern-Recht-auf-Abtreibung-article22136860.html
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