Vergangenen Sonntag (12.07.2020) fanden in Polen Präsidentschaftswahlen statt, bei denen der national-konservative Amtsinhaber Andrzej Duda sein Amt gegen den Liberalen Rafał Trzaskowski verteidigen konnte. Der Sieg fand allerdings erst in der 2. Wahlrunde mit nur 2% Unterschied zwischen den beiden Kandidaten statt. Der Wahlkampf galt als einer der am meisten polarisierenden der letzten Jahre und hat die ohnehin schon tiefe politische Spaltung in Polen noch weiter verschärft.

Die beiden Parteien, die sich in der Präsidentschaftswahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert haben, vertreten nämlich zwei komplett unterschiedliche Visionen von Polen. Trzaskowski’s liberale PO (Bürgerplattform) vertritt gesellschaftlich liberale Ansichten, befürwortet die europäische Integration und steht für den freien Markt. Die PiS (Recht und Gerechtigkeit), die Andrzej Duda ins Rennen geschickt hat, steht für Tradition, Familie und konservative Werte, sie steht der EU leicht skeptisch gegenüber und vertritt wirtschaftspolitisch eher linke Ansichten.

Ein holpriger Weg zur Wahl

Am Anfang der Kampagne waren die Themen Wirtschaft, EU und Werte dominierend. Dem Amtsinhaber Duda wurden bis März noch sehr gute Chancen für eine Wiederwahl vorausgesagt, da die Oppositionspartei PO zu diesem Zeitpunkt noch die Kandidatin Małgorzata Kidawa-Błońska unterstützte, die allerdings bei weitem nicht genügend Charisma hatte, um die Massen für sich zu begeistern. Auch den Kandidaten der kleineren polnischen Parteien wurden keine guten Aussichten vorausgesagt.

Der siegessichere Duda versuchte das Image weiterzuführen, das er schon seit Jahren pflegt. Er inszenierte sich als Staatsmann und Stabilitätsgarant, der über der Tagespolitik steht. Duda ist offiziell auch kein Mitglied der PiS-Partei, die Partei unterstützt nur seine Kandidatur und Duda versuchte sein Image als unabhängiger Kandidat zu bewahren. Wäre die Wahl wie geplant am 10. Mai diesen Jahres abgehalten worden, hätte Duda wohl auch ohne weiteres gewonnen – aus diesem Grund weigerte sich die PiS-Regierung zunächst die Wahl zu verschieben, obwohl die COVID-19-Pandemie zu diesem Zeitpunkt in Polen ihren Höhepunkte erreichte.

Es folgten allerdings immer mehr Kontroversen um die Wahl, da es hygienische Bedenken gab und die Überlegungen die Wahl als komplette Briefwahl abzuhalten von vielen politischen Analysten als intransparent und manipulationsanfällig angesehen wurde. Im letzten Moment drohte Jarosław Gowin, der Vize-Premierminister Polens die von der PiS geführte Regierung zu sprengen, falls die Wahl nicht verschoben wird. Jarosław Kaczyński, der Vorsitzende der PiS-Partei willigte wiederwertig ein und die Wahl wurde auf den 28. Juni verschoben.

Kurz nach der Aufschiebung des Wahltermins trat für die PiS allerdings das Worst-Case-Szenario ein. Nach einer hoffnungslosen Wahlkampagne legte Małgorzata Kidawa-Błońska, die Kandidatin der größten Oppositionspartei PO, ihre Kandidatur nieder und machte damit den Weg frei für den populären Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski. In nur 6 Tagen schaffte er es 1,6 Millionen Unterstützungsunterschriften für seine Kandidatur zu sammeln und seine Beliebtheitswerte stiegen Woche für Woche.

Duda’s Wandlung

Ende Mai erkannte die PiS-Wahlkampfleitung die Gefahr, die von Trzaskowski ausgeht und daher setzte Duda von diesem Zeitpunkt an auf eine neue Wahlkampftaktik mit neuen Themen, um die PiS-Kernwählerschaft zu mobilisieren. Der Wahlkampf wurde von diesem Zeitpunkt an viel kontroverser und polarisierter, mit Aussagen in denen er die „LGBT-Ideologie“ als destruktiver als der Kommunismus bezeichnete, schaffte es Duda sogar in die internationale Presse.[1]

Ein weiteres kontroverses Thema des Wahlkampfes war ein Bericht der polnischen Boulevardzeitung „Fakt“, welchem zufolge Duda während seiner letzten Amtszeit einen Kinderbelästiger begnadigt hatte. Für Duda’s politische Gegner kam diese Enthüllung gerade zum richtigen Zeitpunkt, Duda streitete den Fall nicht ab – versuchte allerdings das Thema zu ändern, indem er immer wieder hervorhob, dass „Fakt“ die Tochtergesellschaft des deutschen Axel-Springer-Verlages ist und den Deutschen vorwarf sich in den Wahlkampf einzumischen.

Es gibt natürlich keinerlei Beweise dafür, dass sich der Axel-Springer-Verlag in die Redaktionsarbeit seiner Tochtergesellschaften einmischen würde, aber die PiS-Parteileitung wusste, dass sie mit so einem anti-deutschen Agenda-Setting besonders im Osten des Landes erfolgreich sein würden. Der eher ärmere Osten Polens wurde durch den Zweiten Weltkrieg schwer in Mitleidenschaft gezogen und es ist dort immer noch möglich mit Themen wie der angeblichen „deutschen Einmischung“ punkten zu können.

Die Medien hatten ebenfalls eine kontroverse Rolle in diesem Wahlkampf inne. Der öffentlich-rechtliche Sender TVP gehört dem erzkonservativen Maciej Łopiński, der in den 70ern noch die Karriereleiter der Kommunistischen Partei hochkletterte, mittlerweile ist er aber offiziell PiS-Abgeordneter im Sejm. Der öffentlich-rechtlichen Sender unter seiner Führung sorgte während der Wahl immer wieder aufgrund der offensichtlich unausgewogenen Berichterstattung für Aufregung.

Zwar argumentieren Łopiński’s Unterstützer oft damit, dass die privaten Sender übermäßig positiv über die Opposition berichten und daher der öffentlich-rechtliche Sender ein Gleichgewicht schaffen muss, indem er übermäßig positiv über die Regierung berichtet, aber die Offensichtlichkeit, mit der sich dieser Sender hinter Duda gestellt hat, kam dennoch für viele überraschend. So titelte TVP während dem Wahlkampf mehrmals mit Headlines wie: „Nimmt Trzaskowski den Polen 200 Milliarden weg?“[2], „Wird Trzaskowski den Polen erlauben ausgeraubt zu werden?“[3], oder „Wird Trzaskowski jüdische Forderungen erfüllen?“[4]. Es gehört aber auch dazu erwähnt, dass TVP schon seit Jahren an einer starken Imagekrise leidet, laut einer Umfrage der Meinungsforschungsinstituts IBRIS vom 19. Juni diesen Jahres, finden nur 17,6 % der Befragten, dass TVP zuverlässlich über den Wahlkampf berichtet, womit sie das mit Abstand schlechteste Ergebnis der 6 größten TV-Sender Polens erhielten.[5]

Das Buhlen um Bosak’s Wählerschaft

Die erste Wahlrunde verlief so, wie es die meisten Prognosen vorhergesagt haben, Duda bekam 43,5% der Stimmen, Trzaskowski 30,5%, der unabhängige Journalist und Menschenrechtler Szymon Hołownia belegte mit 13,9% den dritten Platz, der Kandidat der Konfederacja Krzystof Bosak erreichte mit 6,8% ein unerwartet hohes Ergebnis, während der zentristisch-konservative Władisław Kosiniak-Kamysz und der linke Robert Biedroń jeweils knapp über 2% erreichten. Es war den meisten politischen Beobachtern klar, dass die Wähler von Hołownia, Kosiniak-Kamysz und Biedroń bei der 2. Wahlrunde direkt in die Wählerschaft Trzaskowki’s wechseln. Wie sich die Wähler von Krzystof Bosak verhalten, war allerdings nicht einschätzbar. Bosak vertat die „Konfederacja“ ein relativ neues Parteibündnis, das aus wild zusammengewürfelten rechten bis rechtsextreme Parteien besteht. Sie vertreten sowohl libertäre, anarcho-kapitalistische als auch reaktionäre und nationalistische Gedanken.

Man würde annehmen, dass die Wählerschaft einer Partei, die so weit rechts steht, in der 2. Wahlrunde geschlossen zu Duda wechseln würde, da Duda auf dem politischen Spektrum der Konfederacja näher steht. Die Situation ist aber komplexer, denn wie bereits eingangs erwähnt, vertritt Duda’s PiS-Partei zwar gesellschaftspolitisch national-konservative Werte, wirtschaftspolitisch gesehen vertritt sie aber ein eher linkes Programm, Trzaskowski hingegen vertritt sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftspolitisch gesehen liberale Werte.

Das heißt also, dass all jene, die Bosak primär wegen seiner Wirtschaftspolitik gewählt haben, zum liberalen Trzaskowski wechselten, während der Rest der Wählerschaft der Konfederacja bei der 2. Wahlrunde zu Duda gewechselt sind. Zwischen der ersten und der zweiten Wahlrunde fand also ein Buhlen um die Wählerschaft Bosak’s statt, was das Niveau des Wahlkampfes leider weiter gesenkt hat.

Schon gleich nach der Wahl gratulierte Trzaskowski Bosak zu seinem guten Ergebnis und hob hervor, dass er ähnliche wirtschaftspolitische Ansichten habe. Später betonte Trzaskowski auch, am umstrittenen Marsch der Unabhängigkeit teilnehmen zu wollen[6], obwohl dieser Marsch überwiegend von Rechtsextremen und Nationalisten besucht wird und daher wie schon berichtet[7] sowohl innerhalb Polens, als auch im Ausland als sehr kontrovers gilt. Auch Duda hat seine nationalistische und nativistische Rhetorik verschärft, um Wähler Bosaks abzuholen. Eine Wählerstromanalyse des 2. Wahldurchganges hat tatsächlich gezeigt, dass sich die Wählerschaft Bosaks in einem Verhältnis von nahezu 1:1 zwischen Duda und Trzaskowski aufgeteilt hat.[8]

Konfrontation oder Versöhnung?

Trotz des intensiv geführten Wahlkampfs hat es am Ende für Trzaskowski nicht für den Sieg gereicht. Duda konnte erfolgreich die PiS-Kernwählerschaft mobilisieren und wird die nächsten 5 Jahre als Präsident regieren. Dazu kommt, dass erst im letztem Oktober Parlamentswahlen in Polen stattgefunden haben, bei denen sich das von der PiS angeführte Parteienbündnis ebenfalls eine knappe Mehrheit im Parlament sichern konnte. Wenn die derzeitige Regierung stabil bleibt, wird es also noch 3,5 Jahre dauern, bis die nächsten großen Wahlen in Polen stattfinden werden.

Während dieser Zeit hat die PiS die nahezu volle Macht im Staat, diese wird sie dazu nutzen, um sich für die kommenden Wahlen 2023 bestmöglich vorzubereiten. Bisher konnte die PiS ihre Popularität durch Sozialprogramme, wie der Einführung eines Kindergeldes, oder der Senkung des Pensionsantrittsalters sichern. Durch die derzeitige COVID-19-Krise wird, die ansonsten so robuste polnische Wirtschaft zum ersten Mal seit 1992 einen Wirtschaftsrückgang verzeichnen müssen. Dadurch werden auch die Staatseinnahmen sinken, was zur Folge hat, dass sich die Regierung solche teuren, aber populären Sozialprogramme nicht mehr leisten kann.

Es stellt sich also die Frage: Welche Strategie wird die PiS verfolgen, um sich weiterhin den Machterhalt sichern zu können? Es stehen im Grunde zwei Strategien zur Verfügung. Die erste wäre es, für politische Stabilität im Land zu sorgen, in dem man keine kontroversen Gesetze erlässt, die Opposition in wichtige Entscheidungen miteinbindet, die umstrittene Rechtsreform verlangsamt oder komplett aufgibt und somit versucht die politische Kluft im Land zu beseitigen. Ein möglicher Vorteil davon wäre, dass man sich damit bei zentristischen Wechselwählern beliebter macht und dadurch bessere Chancen auf eine Wiederwahl hat.

Die zweite Strategie ist: den Konfrontationskurs fortzuführen und den Kulturkampf im Land eskalieren zu lassen. Gerade jetzt könnte die PiS ihre Macht ausnutzen, um die Justizreform zu vollenden und in einem nächsten Schritt womöglich auch in die Medienwelt einzugreifen. Die privaten Medien sind bis dato in Polen noch vollkommen unabhängig, aber es wurde schon im Wahlkampf gegen sie polemisiert und daher könnte es sein, dass die PiS in Zukunft nach ungarischem Vorbild gegen oppositionsfreundliche Medien vorgehen wird, um auf diese Weise ihren Machterhalt zu sichern.

Es muss aber auch betont werden, dass die PiS nur nahezu vollkommene Macht im Staat hat. Die PiS hat einerseits nur die Mehrheit im Sejm, nicht im Senat. Der polnische Senat hat zwar nur eine beratende Funktion in der Gesetzgebung, kann der PiS das Regieren aber trotzdem schwieriger machen. Zweitens, gibt es zwei Varianten der PiS, einerseits ist die PiS eine Partei wie jede andere, zweitens gibt es auch ein Parteienbündnis mit dem selben Namen, in dem die PiS (Partei) zwar die dominierende Rolle spielt, aber im PiS (Parteienbündnis) gibt es auch noch 3 andere Kleinparteien, die der PiS (Partei) zwar sehr nahe stehen, aber dennoch einige unterschiedliche Interessen verfolgen.

Besonders die Kleinpartei Porozumienie (Verständigung) ist ein schwieriger Partner für die PiS (Partei), da ihr Vorsitzender Jarosław Gowin im Mai damit gedroht hat das PiS-Parteienbündnis zu verlassen (womit das PiS-Parteienbündnis ihre Mehrheit verlieren würde), falls die Präsidentschaftswahl nicht aufgeschoben wird. Die PiS (Partei) musste letztendlich klein bei geben und den Forderungen Gowins nachkommen. An diesem Fall sieht man, dass die PiS letztendlich nicht vollkommen allein regieren kann und auf die permanente Unterstützung ihrer kleineren Bündnispartner angewiesen ist.

Aus diesem Grund halte ich es auch nicht für besonders wahrscheinlich, dass die vollständige Orbanisierung Polens droht, wie in Strategie Nummer 2 beschrieben. Es ist eher wahrscheinlich, dass die PiS einen Zwischenweg zwischen den beschriebenen Strategien verfolgen wird und versuchen wird den Staat dort, wo es ihr möglich ist umzugestalten und so lange die Opposition und Zivilgesellschaft in Polen stark bleibt, ist es unwahrscheinlich, dass das Land dem Beispiel Ungarns, Russlands oder der Türkei folgt.

 

Quellen:

[1] https://www.bbc.com/news/world-europe-53039864

[2] https://wiadomosci.tvp.pl/48538765/trzaskowski-odbierze-polakom-200-miliardow

[3] https://wiadomosci.tvp.pl/48527270/trzaskowski-pozwoli-ograbic-polakow

[4] https://wiadomosci.tvp.pl/48902446/trzaskowski-spelni-zydowskie-zadania

[5] https://twitter.com/IBRiS_PL/status/1273872936064221185?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1273872936064221185%7Ctwgr%5E&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.press.pl%2Ftresc%2F62149ibris-dla-onetu_-_wiadomosci_-i-tvp-info-nierzetelnie-relacjonuja-kampanie

[6] https://wiadomosci.onet.pl/kraj/wybory-prezydenckie-2020-rafal-trzaskowskiego-o-marszu-niepodleglosci-chetnie-wezme/wjb0emz

[7] https://www.fomoso.org/mosopedia/hintergrundwissen/der-11-november-und-seine-vielen-bedeutungen-fuer-polen/

[8] https://www.rmf24.pl/raporty/raport-wybory-prezydenckie2020/najnowsze-fakty/news-wybory-prezydenckie-2020-na-kogo-w-drugiej-turze-glosowali-w,nId,4607146