Vor Kurzem ist in Serbien gewählt worden. Das Ergebnis: ein Machtausbau des amtierenden Premierminister Aleksandar Vučić (siehe Artikel hier im FOMOSO: ‚Vučić: Eine Selbstentmachtung zu Wohle seiner Partei?‘). Mit 56% der Stimmen war er zum Staatspräsidenten gewählt worden, eine absolute und überwältigende Mehrheit. Damit war der übliche zweite Wahlgang samt Stichwahl hinfällig geworden. Mit fast 40% Abstand zum Zweitplatzierten – Sasa Jankovic mit 16% der Stimmen, parteiunabhängig – ist ein solches Ergebnis bestenfalls unwahrscheinlich in freien und funktionierenden Demokratien. Das sorgte auch bei Teilen der serbischen Bevölkerung für Ungläubigkeit.
Es waren zunächst hauptsächlich junge, aufgebrachte Studenten, die ihrer Wut über das Wahlergebnis auf den Straßen Belgrads, Pristinas und Co lautstark Luft machten. Es geht um Unzufriedenheit, Korruption und Wahlbetrug. Schilder mit Ti nisi moj predsednik (‚You are not my president‘) oder Protesti protiv diktature (‚Protest against dictatorship‘) wurden hochgehalten – anti-autoritäre Slogans skandiert. Später weitete sich der Protest auf weitere Teile der Bevölkerung aus, Polizei, Armee, Taxifahrer, Postangestellte und weitere Syndikate schlossen sich den Protesten an. Die serbische Bevölkerung scheint den autoritären Umbau ihres Staates nicht tatenlos zusehen zu wollen, an faire und gleiche Wahlen glauben hier viele schon lange nicht mehr. Wahlbetrug gilt nicht nur in Serbien, sondern in vielen Balkanstaaten als gängige Praxis zur Machterhaltung bei den amtierenden Regierungen. Dem stellen sich nun viele kritische Serben entgegen. Sie haben es satt ignoriert und bevormundet zu werden, als ob die politischen Eliten des Landes besser wüssten was gut für sie ist als sie selbst.
Wer diese Proteste organisiert? ‚Das Volk‘ heißt es aus den Reihen der Demonstranten, ‚Ein Volk, das die Korrumpiertheit der eigenen Regierung nicht mehr erträgt‘. Eine Verbindung zu einer Oppositionspartei besteht laut Aussagen der Demonstranten nicht. Aus den zunächst spontanen Demonstrationen ist eine Bewegung geworden. Man hat sich organisiert und am 9. April 2017 eine gemeinsame Erklärung mitsamt Forderungen veröffentlicht. Darin heißt es:
For seven days have we already walked along the streets in protest. Autocracy, farcical presidential elections, continuous lack of perspective and the humiliation that we have suffered by the government and its institutions, and finally, a complete disregard towards the difficult lives that most of us are forced to live – these are the reasons that have brought us together to protest.
Und weiter:
We, the students, together with workers, pupils, farmers, peasants, retired people and all those dissatisfied in Serbia who have been protesting in the streets for days, we would like to proclaim our demands and invite all of those who agree with them to join us in struggle for their achievement!
Eine Liste von Forderungen inklusive Ultimatum folgt. Man fordert eine Re-Demokratisierung des Landes, Meinungs- und Pressefreiheit, die Abschaffung von Korruption und Nepotismus sowie wirtschaftlichen und sozialen Wandel. Das Ultimatum verstrich am 17. April 2017 unbeantwortet. Obwohl die Demonstranten ihre Plakate und Banner über Ostern niederlegten – Serbien ist und bleibt stark im orthodoxen Christentum verankert – hat man die Proteste am 18. April wiederaufgenommen. Jeden Abend um 18 Uhr trifft man sich an zentralen Plätzen der Städte und zieht trillernd und pfeifend durch die Straßen. Nachdem die Proteste von Serbiens regierungstreuen Medien zunächst ignoriert wurden, verunglimpfen sie die Demonstranten als nun als ‚ausländisch bezahlte Söldner‘, ‚Säufer‘, ‚Junkies‘ und ‚verführte Jugend‘. Es seien sowieso nur ‚eine Handvoll‘ Demonstranten.
Obwohl die Proteste durchaus ernstzunehmend sind, stellen sie noch keine tatsächliche Bedrohung für Vučić und seine Regierung dar. Zu Einen hat Vučić nicht nur Feinde im Land, Teile der Serbischen Bevölkerung unterstützen seinen autoritären Führungsstil als Notwendigkeit in bewegten Zeiten. Hinzu kommt, dass viele Serben politikverdrossen sind, schlicht kein Interesse an Politik haben oder keinen Zugang finden; die Wahlbeteiligung liegt regelmäßig bei nur knapp über 50%. Ein wichtigerer Faktor jedoch liegt außerhalb Serbiens. Es ist die internationale Gemeinschaft, vor allem jedoch die westlichen Staaten, die EU, die Vučić durch Wegsehen den Rücken stärken. Statt eine offensichtlich unfaire Wahl zu kritisieren, gratulierte man Vučić zu diesem historischen Wahlergebnis. Ein Schlag ins Gesicht für die Opposition. Auch jetzt, wo Zehntausende Serben für Werte auf die Straße gehen, die westliche Staaten für sich reklamieren, kommt keinerlei Unterstützung von Westlichen Regierungen. Zu zentral ist Serbiens geopolitische Position, zu wichtig ein stabiler Partner in der Region. In der sogenannten Flüchtlingskrise allemal.
Nach anfänglich vielen Berichten in westlichen Medien ist das Interesse an den Protesten nun merklich abgeflacht. Kaum aktuelle Artikel oder Kommentare lassen sich finden. Es braucht jedoch internationale mediale sowie politische Aufmerksamkeit um den Protesten der Serben zu mehr politischer Schlagkraft zu verhelfen. Es scheint ein schmutziger Ablasshandel zu sein, auf den sich unsere Regierungen da eingelassen haben. Und er geht auf Kosten der Serbischen Bevölkerung, die nicht mehr fordern als reale politische Teilhabe und eine Verbesserung ihrer Lebensumstände.
Die komplette Erklärung der serbischen Demonstranten findest Du übrigens hier:
http://www.n-tv.de/politik/Vucic-gewinnt-Wahl-in-Serbien-article19776870.html
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