Die Gothic-Szene gehört seit ihrem Entstehen in den 1980er Jahren zu den langlebigsten Subkulturen. Ihren Ursprung hat sie in der punk Bewegung der späten 1970er Jahre, aus der sie sich in den frühen bzw. Mitte der 1980er Jahre als eigenständige Subkultur herausformte[1]. Das augenscheinlichste Merkmal der „Gruftis“ ist zweifellos das Tragen schwarzer Kleidung, aber auch die Auseinandersetzung mit Themen, die in der Gesellschaft als morbid oder mysteriös wahrgenommen werden, ist integraler Bestandteil der Szene[2]. Vor allem in Westeuropa und Nordamerika ist Gothic fest im subkulturellen Kosmos etabliert, doch sie beschränkt sich keineswegs auf den „Westen“, sondern ist global vertreten. Gerade auch im östlichen Europa verfügt die schwarze Szene[3] über eine treue Community.

Ein zentraler Dreh- und Angelpunkt des sozialen Miteinanders in der Gothic-Szene stellen – wie in anderen Subkulturen auch – Festivals dar. Das weltweit größte Gothic-Festival ist das seit 1992 jährlich in Leipzig stattfindende Wave Gotik Treffen (WGT)[4]. Daneben existieren weltweit noch zahlreiche weitere Festivals, die sich thematisch und programmatisch an die Gothic– bzw. schwarze Szene richten[5].

Auch in der Ukraine existierte ein entsprechendes Festival, das sich von der Größe mit dem WGT messen konnte, nämlich das „Dity noči: Čorna rada (Kinder der Nacht: Schwarze Versammlung)[6]“, welches – mit Unterbrechungen – jährlich im Herbst in Kiew veranstaltet wurde[7]. Bedingt durch die Wirren des Krieges in der Ukraine seit 2014 konnte das Festival zuletzt 2016 stattfinden[8]. Dity noči: Čorna rada (im Folgenden: DNČR) wurde erstmals im Jahr 2000 veranstaltet und war im post-sowjetischen Raum das erste Festival seiner Art[9]. Die federführende Kraft hinter DNČR ist das Presseportal Ukrajins’kyj Gotyčnyj Portal[10], das im Jahr zuvor die Idee zur Ausrichtung eines derartigen Festivals in der Ukraine hatte[11]. Das UGP ging aus dem 1994 gegründeten Kyjivs’kyj Gotyčnyj Klan, der ersten ukrainischen Gothic-Organisation hervor[12]. Neben DNČR organisierte das UGP Gothic-Partys und -Veranstaltungen in der gesamten Ukraine[13].

Für das DNČR stellten die kriegsbedingten Herausforderungen schon vor 2022 große Probleme dar. So musste bereits 2014 und 2015 das Festival aufgrund des Krieges im Donbass abgesagt werden, aber auch die durch den Krieg verschärfte prekäre wirtschaftliche Situation in der Ukraine sorgte dafür, dass sich viele Menschen die Ticketpreise nicht leisten konnten[14].

Das DNČR war als Knotenpunkt für die gesamte Gothic-Szene in der ehemaligen UdSSR ausgelegt[15]. Auch als es durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und dem Krieg im Donbass 2014 zu massiven politischen Spannungen mit der Russländischen Föderation kam, bemühte sich DNČR diesem Anspruch gerecht zu werden und stand 2016 auch Bands aus der Russländischen Föderation offen[16].

DNČR zeigt damit, dass die Gothic-Szene weitestgehend unpolitisch ist, und allen Menschen, die sich ihr zugehörig fühlen, offensteht, unabhängig von deren Herkunft. Angesichts des bereits vor dem 24. Februar 2022 herrschenden Krieges und des stark belasteten politischen Verhältnisses zur Russländischen Föderation, gilt diese Neutralität von DNČR und UGP als besonders bemerkenswert. Den Veranstaltenden war es wichtig über politische Grenzen hinweg einen safe space für „Gruftis“ aus der ehemaligen Sowjetunion aufrecht zu erhalten. Für die Szene war dies insofern wichtig, da ihr die Möglichkeit zu Vernetzung und Austausch mit Gleichgesinnten in der Heimat (oder nahe der jeweiligen Heimat) geboten wurde. Eine Reise zu den großen Gothic-Festivals im westlichen Europa ist für viele Angehörige der Szene im postsowjetischen Raum aus Kosten- und/oder logistischen Gründen nicht möglich.

Der flächendeckende russländische Angriffskrieg setzte der politischen Neutralität jedoch ein Ende und schnitt die ukrainische Gothic-Szene von ihren Communities in der Russländischen Föderation, Belarus etc. ab. Zwar können Festivals und vergleichbare Veranstaltungen an die Bedingungen des Krieges angepasst abgehalten werden[17], doch ein Festival wie DNČR mit der Mission Szeneangehörige aus der Ukraine, der Russländischen Föderation und Belarus zu vereinen wird es vorerst nicht mehr geben.

Wie alle anderen Menschen in der Ukraine auch ist die lokale Gothic-Community dazu gezwungen sich mit den Schrecken und Herausforderungen des Krieges im Alltag zu arrangieren. Veranstaltungen wie das am 14. und 15. Oktober 2023 abgehaltene GothicaFest in Kiew oder das für den 15. und 16. Februar 2025 geplante Love // Hate[18] beweisen, dass die ukrainische Gothic-Szene unter Kriegsbedingungen trotzdem aktiv bleibt und auch durch den Krieg nicht verschwinden wird.

 

Quellen:

About us: Informacija pro gothic.com.ua ta istorija ukrajins’koho gotyčnoho portal, unter <https://gothic.com.ua/?page_id=29>, 22.1.2025.

Deti Noči / Children of the Night. Čorna Rada. Gothic / Dark / Electro Festival, unter <http://detinochi.com/>, 29.1.2025.

Dity noči / Children of the Night, The Festival, unter <http://detinochi.com/old/eng/fest.html>, 22.1.2025.

Mason, Diane, Goth, in: William Hughes / David Punter / Andrew Smith (Hgg.), The Encyclopedia of the Gothic. Chichester 2016, 283–287.

Wave-Gotik-Treffen in Leipzig, MDR: KULTUR erleben, unter <https://www.mdr.de/kultur/wgt/index.html#:~:text=Das%20Wave%2DGotik%2DTreffen%20(,es%20gerade%20einmal%202.000%20G%C3%A4ste.>, 22.1.2025.

WGT 2024 in Leipzig endet mit 18.000 Besucherinnen und Besuchern, MDR: KULTUR erleben, 20.5.2024, unter <https://www.mdr.de/kultur/wgt/wave-gotik-treffen-leipzig-bilanz-besucher-kultur-news-100.html>, 22.1.2025.

Wenn die „Kinder der Nacht“ erwachen. Gothic-Festival in der Ukraine, MDR: Heute im Osten, unter <https://www.mdr.de/heute-im-osten/gothic-festival-ukraine-100.html#:~:text=Das%20Festival%20%22Kinder%20der%20Nacht,in%20Leipzig%20%2D%20nur%20etwas%20kleiner.&text=Jedes%20Jahr%20im%20Herbst%20treffen,zuletzt%202016%20nach%20zweij%C3%A4hriger%20Pause.&text=2014%20und%202015%20musste%20das,der%20Krieg%20in%20der%20Ukraine.>, 21.1.2025.

 

Zander, Max, Ukraine: Musikfestival mitten im Krieg, Deutsche Welle, 23.7.2024, unter <https://www.dw.com/de/ukraine-musikfestival-mitten-im-krieg/video-69745052>, 29.1.2025.

[1] Vgl. Diane Mason, Goth, in: William Hughes / David Punter / Andrew Smith (Hgg.), The Encyclopedia of the Gothic. Chichester 2016, 283–287, 284.

[2] Vgl. Ebenda.

[3] Ich verwende den Begriff schwarze Szene als umbrella term, der alle Menschen einschließt, die sich den schwarzalternativen Subkulturen zugehörig fühlen. Dies geht über die Gothic-Szene hinaus und schließt (u.a.) auch Teile der Metal– oder Emo-Szene ein, die grundsätzlich separate Subkulturen darstellen. Auch der Begriff Gothic-Szene stellt wiederum einen umbrella term dar, der ein diverses Geflecht an Strömungen unter sich vereinigt, welche sich durch Kleidungsstil, Musikrichtung, Interessen und Hobbies etc. voneinander unterscheiden. Eine exakte Definition von Gothic als Subkultur und welche Unterkategorien ihr zu gerechnet werden können bzw. als von ihr separat betrachtet werden müssen kann an dieser Stelle nicht erfolgen.

[4] Vgl. Wave-Gotik-Treffen in Leipzig, MDR: KULTUR erleben, unter <https://www.mdr.de/kultur/wgt/index.html#:~:text=Das%20Wave%2DGotik%2DTreffen%20(,es%20gerade%20einmal%202.000%20G%C3%A4ste.>, 22.1.2025. 2024 besuchten ca. 18 000 Menschen das WGT, im Jahr zuvor ca. 20 000 (vgl. WGT 2024 in Leipzig endet mit 18.000 Besucherinnen und Besuchern, MDR: KULTUR erleben, 20.5.2024, unter <https://www.mdr.de/kultur/wgt/wave-gotik-treffen-leipzig-bilanz-besucher-kultur-news-100.html>, 22.1.2025). Siehe auch Homepage des WGT, unter <https://www.wave-gotik-treffen.de/>, 22.1.2025.

[5] Im deutschsprachigen Raum sei noch auf das M’era Luna in Hildesheim und das Amphi in Köln hingewiesen (siehe Homepages, unter <https://meraluna.de/de/>, 22.1.2025, und, unter <https://amphi-festival.de/en/>, 22.1.2025). Außerhalb Deutschlands seien das Whitby Goth Weekend in UK, Castle Party in Polen und Convergence in den USA erwähnt.

[6] Siehe die englischsprachige Homepage unter <http://detinochi.com/old/eng/fest.html>, 21.1.2025. Leider handelt es sich hierbei um eine nicht mehr aktive Webseite. Sowohl die englische als auch die ukrainische und russische Version sind seit 2009 bzw. 2010 nicht mehr aktualisiert worden und geben somit keine Auskunft über aktuelle Entwicklungen und Veranstaltungen in der ukrainischen Gothic-Szene. Es existiert eine neuere russisch- und englischsprachige Version (<http://detinochi.com/>, 29.1.2025), aber auch diese scheint seit 2016 nicht mehr aktualisiert worden zu sein. Es gibt jedoch noch eine Facebookseite mit dem Namen „Deti Nochi Festival / Festival‘ Deti Noči“, dort wurden Beiträge bis Oktober 2023 veröffentlicht.

[7] Vgl. Wenn die „Kinder der Nacht“ erwachen. Gothic-Festival in der Ukraine, MDR: Heute im Osten, unter <https://www.mdr.de/heute-im-osten/gothic-festival-ukraine-100.html#:~:text=Das%20Festival%20%22Kinder%20der%20Nacht,in%20Leipzig%20%2D%20nur%20etwas%20kleiner.&text=Jedes%20Jahr%20im%20Herbst%20treffen,zuletzt%202016%20nach%20zweij%C3%A4hriger%20Pause.&text=2014%20und%202015%20musste%20das,der%20Krieg%20in%20der%20Ukraine.>, 21.1.2025.

[8] Meiner Recherche nach wurde das Festival 2016 zum letzten Mal abgehalten werden. Der letzte Eintrag auf der offiziellen Webseite stammt von 2016 (vgl. Deti Noči / Children oft he Night. Čorna Rada. Gothic / Dark / Electro Festival, unter <http://detinochi.com/>, 29.1.2025). Auf seiner Facebookseite und in seiner -gruppe verweist das DNČR auf andere Gothic-Festivals, z. B. Love // Hate (15.–16.2.2025) in Kiew oder Gothica Fest (14.–15.10.2023) ebendort.

[9] Vgl. Dity noči / Children of the Night, The Festival, unter <http://detinochi.com/old/eng/fest.html>, 22.1.2025.

[10] Siehe die englischsprachige Homepage, unter <https://gothic.com.ua/>, 21.1.2025. Die Webseite ist aktualisiert und informiert über aktuelle Veranstaltungen zur Gothic-Szene in der Ukraine und außerhalb.

[11] Vgl. Dity noči / Children of the Night, The Festival.

[12] Vgl. About us: Informacija pro gothic.com.ua ta istorija ukrajins’koho gotyčnoho portal, unter <https://gothic.com.ua/?page_id=29>, 22.1.2025.

[13] Vgl. Dity noči / Children of the Night, The Festival.

[14] Vgl. Wenn die „Kinder der Nacht“ erwachen.

[15] Vgl. Ebenda.

[16] Vgl. Ebenda. Bands aus der Russländischen Föderation hatten jedoch Probleme mit der Anreise, da keine Direktflüge nach Kiew mehr angeboten wurden (vgl. ebenda).

[17] Vgl. Max Zander, Ukraine: Musikfestival mitten im Krieg, Deutsche Welle, 23.7.2024, unter <https://www.dw.com/de/ukraine-musikfestival-mitten-im-krieg/video-69745052>, 29.1.2025.

[18] Siehe: Fn. 8.