Eine Filmkritik von Katharina Schmitz


 

 

„My Beautiful Country“ bzw. „Die Brücke am Ibar“ (2012/2013) ist ein, unter anderem bei den Film Festivals München und Pula ausgezeichneter Film der deutschen Drehbuchautorin und Filmregisseurin mit jugoslawischer Migrationsgeschichte Michaela Kezele.  Das bewegende Drama spielt während des Kosovo-Krieges (Februar 1998-Juni 1999) und im Zuge des NATO-Angriffs[1] am Fluss Ibar, der zur faktischen Grenze zwischen Kosovo und Serbien wurde. Auch im Film teilen der Fluss und eine Brücke darüber plötzlich die serbisch- und albanischsprachigen Bewohner*innen und Stadtteile, was an die heutige Situation der Stadt Mitrovica im Norden Kosovos erinnert. Der deutsche Filmtitel erinnert an Ivo Andrić’s „Die Brücke über die Drina“[2], während der englische Titel auf ein im Film gesungenes jugoslawisch-patriotisches, serbokroatisches Lied verweist, sodass beide Titel untergründig die allesumgreifende Thematik über Anspruch auf Identität, Kultur, Geschichte und Land bespielen.

 

Mitrovica’s „New Bridge“ über den Ibar ist die einzige Verbindung zwischen der kosovo-albanischen Bevölkerung und der serbischen Enklave.

 

Das Drama dreht sich um die junge serbische Mutter und Witwe Danica, gespielt von der Kroatin Zrinka Cvitešić. Sie bringt ihre beiden Söhnen Vlado und, dem seitdem sein Vater im Krieg gefallen ist, verstummten Danilo, in einem kleinen Haus und Hof von der spärlich gezahlten Witwenrente kaum über die Runden. In ihr kleines Haus im serbischen Teil der nun durch den Ibar geteilten Stadt flüchtet sich eines Tages der verwundete kosovo-albanische UÇK-Soldat[3] Ramiz, gespielt vom deutsch-kroatischen Schaupsieler Mišel Matičević. Trotz Unbehagen pflegt sie ihn gesund und hält ihn versteckt. Ramiz‘ allmähliche Freundschaft mit Danilo lässt den Kleinen aufblühen und Danica und Ramiz verlieben sich. Nachdem er von einer den Kosovo-Albaner*innen feindlich gesinnten Nachbarin entdeckt und denunziert wird, flieht er wieder über den Ibar auf die albanische Seite.

Dieselbe Nachbarin hatte zuvor selbst einer Dorfbewohnerin den Zutritt zu ihrem schützenden Keller während eines NATO-Angriffs verwehrt. Der Grund dafür war deren Ehe mit einem Albaner, aus der auch ihre Tochter Nana hervorgeht. Im Verlauf des Films werden Nana und ihre Mutter von immer mehr Menschen diskriminiert und gemieden. Eine Ausnahme bleiben Danica und Danilo, Nanas bester Freund.

Als Nana schwer krank ins einzige Krankenhaus der Gegend gebracht wird, das sich allerdings auf der albanischen Seite befindet, begibt er sich zu Fuß auf um ihr zu folgen. Danica und Vlado sorgen sich und suchen ihn indes verzweifelt. Um ihn wieder zu finden und sicher nach Hause zu bringen, erreicht Vlado über Prostituierte, die als einzige die Brücke regelmäßig überqueren können, Ramiz nach seiner Flucht. Dieser findet Danilo im Krankenhaus wieder und bringt ihn in serbisch-jugoslawischer Militärkleidung getarnt zurück zur Brücke – mit einem letzten Gruß und Kuss an die Familie, die nicht seine werden kann.

Während Danilo wieder nach Hause kommt und plötzlich wieder spricht, wird Ramiz in seiner Militärverkleidung auf dem Weg zurück von UÇK-Schützen erschossen. Einer davon ist tragischerweise sein Bruder, (dessen Kriegstrauma in Rachsucht umgeschlagen ist). Die kleine Nana stirbt indes im Krankenhaus an mysteriösen Umständen. Der Film impliziert allerdings, dass es die Folgen der Uranmunition und des kontaminierten Militärmaterials der NATO[4] seien.

Die Thematik des NATO-Angriffs ist zentral. Zunächst dominiert der psychische Terror des ständigen Fliegeralarms und die berichteten Tode albanischer und serbischer Zivilist*innen bei den Angriffen in den Medien. Doch dann wabert wie ein alles verschlingender, unsichtbarer, tödlicher Nebel die Vorstellung der radioaktiven Kontaminierung durch den Film. Zuerst erkranken die Tiere, die neben kontaminierten und zerstörten Kriegsmaterial weiden, dann die Kinder, die auf einem kaputten und kontaminierten Panzer spielen. Der Film legt einen Finger in eine Wunde, die zunächst vertuscht, niemals in ihrem Umfang anerkannt und aufgearbeitet und durch kollektive Amnesie in den NATO-Ländern übertapeziert wurde. Die tödlichen Konsequenzen der verwendeten Uranmunition für die Zivilbevölkerung in einer Militäroperation, die im Dilemma zwischen Völkerrechtswidrigkeit und einer Humanitären Intervention zur Abwendung eines weiteren Genozids steckt.

Der Film erzählt aus der Perspektive serbischsprachiger Zivilist*innen, die scheinbar zuvor mehr oder weniger mühelos harmonisch mit ihren albanischsprachigen Nachbar*innen lebten, zum Kinderkriegen selbstverständlich ins Krankenhaus in der nächsten, albanisch-dominierten Stadt und deren Kinder gemeinsam in die Schule gingen. Auch die Radio- und Fernsehaufnahmen, die Teil des Films sind, sowie die kontextualen Informationstexte an Anfang und Ende des Films kontextualisieren nur begrenzt; fast ungenügend für manche Zuschauer*innen, die den Impuls nach einer Gegendarstellung und -perspektive haben. Der Film gibt jedoch die Perspektive und Informationen wieder, die Menschen in dieser kleinen Siedlung wohl erhielten und für sie in diesen Kriegstagen relevant waren. Die Relevanz gleichzeitiger Geschehnisse in kosovo-albanischen Siedlungen wird nicht negiert oder runtergespielt, die Unterlassung der Erwähnung sollte nicht voreilig als Ver-unsichtbarmachung des Geschehenen interpretiert werden. Die Grausamkeit serbisch-jugoslawischer Soldaten wird im Umgang mit Ramiz und später Danica vor Augen geführt. Stattdessen positioniert sich der Film zwischen den Stühlen, um eine Perspektive auf die Leiden und Erlebnisse der betroffenen Personen zu erhalten. Denn auch diese Leidensgeschichten sollen gehört und gesehen werden.

Eine mehrdeutige Szene ist der einzige Streit zwischen Danica und Ramiz. Fast beiläufig und nur aus Sicht des sich entfernenden Kindes wird das Publikum Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen Danica und Ramiz über die Nachrichten, von denen allerdings nur Danicas Worte verständlich sind:

„Verfluchter Krieg! Ihr Männer und eure Kriege! Eine Mutter würde nie das Leben ihre Kindes für ein Stück Land aufs Spiel setzen!“

Dieses Zitat entblößt zunächst die gegenderte Realität des Krieges, der als eskalative Perversion von glorifizierter toxischer Maskulinität und Gewalt, Dominanz- und Machtobsession gilt. Im Gegensatz zeigt der Film die Erfahrungen von Frauen und Kinder als Handelnde während des Krieges. Das heißt Personengruppen, die sonst nur als passive Opfer, deren Körper sonst als Symbole für Nation, Ehre, Reinheit und Unschuld über-symbolisiert und damit ent-personifiziert werden.

Des Weiteren verdeutlicht diese Szene, dass der Film Danica und Ramiz nicht erlaubt Stellvertreter*innen des Krieges zu sein, sie nicht in Positionen sondern in ihrer alltäglichen Menschlichkeit zu zeigen. Danicas Perspektive bestimmt die legitime „Begrenztheit“ und Relevanz in diesem Film. Das Unrecht und das Trauma, die Erlebniswahrheiten der diversen Überlebenden, hat Legitimität und Relevanz. Vor allem dann, wenn die harten, ethno-nationalistischen Äxte in Post-Jugoslawien jeden Raum für die Anerkennung der individuellen Schicksale unter oder jenseits der instrumentalisierten Opfernarrative im Keim zerschlagen. Und dazu zählen insbesondere die Schicksale der Frauen, die ausnahmslos von jeder ethnisch-motivierten Regierung instrumentalisiert und gleichzeitig stumm und unsichtbar gemacht werden. Umso wichtiger ist die Perspektive auf die familiären und gemeinschaftlichen Interaktionen, die schon immer Leim und Spiegel jeder Gesellschaft waren, im Gegensatz zu ihren Regierungen.

„My Beautiful Country“ erzählt feinsinnig und bewegend wie sich Grenzen in kognitiven, emotionalen und geographischen Karten mit Gewalt und Grausamkeit in schnellster Zeit entwickeln. Die bittere Unsinnigkeit, Willkür und das schwere Erbe des Kriegs wird in den Schicksalen der unschuldigen, naiven Kinder, im Tod Ramiz und in der Liebe der beiden – zwischen denen doch eigentlich nichts steht – sichtbar. Dass dieser Film weder zu patriotisch Partei ergreift, in Helden- und Opferepos oder theatralisches Liebesdrama verfällt, ist der Macherin hoch anzusehen.

Tatsächlich wird insbesondere die Liebesgeschichte so nebensächlich und unaufgeregt in wenigen zärtlichen Szenen gezeigt, als die kleine Liebesgeschichte Nanas und Danilos. Zum einen, werden dem die eindimensionalen Inhaltsangaben und Kritiken über den Film nicht gerecht. Zum anderen, führt dies paradoxerweise dazu, dass mensch diese Liebesgeschichte in ihrer simplen und doch überladenen, und dennoch eigentlich herzzerreißenden Message, die die Absurdität und Unsinnigkeit jeden Kriegs und Ethnonationalismus so schamlos enthüllt, sichtbarer machen.

Trotzdem ist sie nicht das Finale, das Zentrale, sondern das Auseinanderfallen der örtlichen Gemeinschaft in all ihren Gründen und Konsequenzen. So sterben Bewohnerinnen wie Nana, und das geliebte und überlebenswichtige Vieh erkrankt. So hat der Krieg den Fluss, ein Lebensquell, und seine verbindende Brücke, zur Grenze gemacht, die Tod und Vertreibung symbolisiert und die kleine Siedlung von der städtischen Lebensader am anderen Ufer abschneidet; und vor allem, von den Mitmenschen. So, bleibt zuletzt die denunzierende Nachbarin mit wenigen isoliert allein zurück im Dorf.

„Aber du musst sie doch auch hassen?“

,fragt die Nachbarin Danica verzweifelt. Doch diese antwortet ohne Bitterkeit oder Ablehnung:

 „Wenn man zwei Kinder hat, hat man keine Zeit zu hassen“.

In einem Akt der Selbstermächtigung verlässt sie das Haus voller Erinnerungen und das Grab ihres Mannes zurück, trägt zum ersten Mal kein trauerndes Schwarz, sondern steigt im roten Sommerkleid befreit, versöhnt und zuversichtlich mit ihren Kindern in einen Bus Richtung unbekannter Zukunft. In dieser Szene lebt sie vor, was so vielen im post-Konflikt westlichen Balkan verwehrt bleibt: den Zugang raus aus einem Leben in der schmerzlichen, lähmenden Vergangenheit in eine selbstbestimmte Zukunft. Die Auseinandersetzung mit und Anerkennung der reellen Schicksale hinter den fiktiven diesen Films sind die Voraussetzung zu dieser Bewältigung. Sie gleichen Puzzlestücken in der kollektiven und konstruktiven Aufarbeitung und Sichtbarmachung der europäischen Vergangenheit.

 

Quellen:

Kezele, Michaela (2012), Die Brücke am Ibar, Sperl Productions. DVD der Movienet Film GmbH, 2014.

Kurz, Joachim, My Beautiful Country: Der Feind im eigenen Haus. Kino-Zeit.de. https://www.kino-zeit.de/film-kritiken-trailer-streaming/my-beautiful-country (20.01.2023)

Schulze, Tobias, Sagt Sorry fürs Uran!, taz online, 26.03.2019 https://taz.de/Nato-Luftangriffe-auf-Jugoslawien/!5580013/ (20.01.2023).

[1] „Ab März 1999 flogen die Nato-Staaten zehn Wochen lang Luftangriffe auf Jugoslawien, um Menschenrechtsverletzungen gegen die albanische Bevölkerung im Kosovo zu stoppen. Auch die Bundeswehr beteiligte sich an den Bombardements.“ (Schulze 2019)

[2] „Die Brücke über die Drina“ (1945) ist Andrić’s bekanntestes Werk und war ausschlaggebend für seine Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis 1961. Der historische Roman umspannt vier Jahrhunderte der Region um Višegrad und spielt an der Mehmed-Paša-Sokolović-Brücke in Višegrad.

[3] Ushtria Çlirimtare e Kosovës, „Befreiungsarmee des Kosovo“. Eine 1994 gegründete paramilitärische Organisation, die für die Unabhängigkeit des Kosovo kämpfte. Teile der Gruppe strebten den Zusammenschluss albanisch besiedelter Gebiete in Nachbarländern wie Nordmazedonien mit dem „albanischen Mutterland“ mit gewaltsamen Mitteln an.

[4] „Während die deutsche Luftwaffe konventionelle Munition verwendete, setzen die Nato-Alliierten insgesamt zehn Tonnen Uranmunition ein. Der Vorteil dieser Munition ist ihre Durchschlagskraft. […]Verschiedene Studien legen nahe, dass sie langfristig die Gesundheit der Bevölkerung in betroffenen Region gefährdet. Serbische MedizinerInnen geben an, dass seit dem Krieg deutlich mehr Menschen im Land an Krebs erkrankten.

 

Bildquellen:

New Bridge Mitrovica: https://www.euronews.com/2021/03/14/in-mitrovica-a-bridge-that-separates-kosovo-s-albanians-and-serbs-extract (20.01.2023)

Filmcover: https://tse3.mm.bing.net/th?id=OIP.n2lUGACqxz1iUiI-Yt40dQDUEs&pid=Api (20.01.2023)

Filmszene: https://tse2.mm.bing.net/th?id=OIP.xhHBoAs3h5-iYAn_R7gyNwHaEK&pid=Api (20.01.2023)