Die blutigen Auseinandersetzungen, die Bosnien zu Beginn der 1990er Jahre erschütterten, fanden ihren traurigen Höhepunkt im inzwischen vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag als Genozid anerkannten Massaker von Srebrenica im Juli 1995, bei dem mehrere Tausend muslimische Jungen und Männer zu Tode kamen.
Der Aufschrei der Öffentlichkeit nach Bekanntwerden der Ereignisse in Srebrenica und die immer lauter werdenden Forderungen, einzugreifen und die Kämpfe zu beenden, führten 1995 schliesslich dazu, dass die internationale Gemeinschaft – namentlich die USA und Vertreter europäischer Staaten – tätig wurde.
Um der Unmenschlichkeit nach dreieinhalb Jahren ein Ende zu bereiten, wurde 1995 das Dayton-Friedensabkommen ausgehandelt; benannt nach der Stadt Dayton im amerikanischen Bundesstaat Ohio, auf dessen Militärbasis das Abkommen von den Bevollmächtigten Parteien vorläufig signiert wurde. Am 14. Dezember 1995 unterzeichneten in Paris Alija Izetbegović (Vorsitzender im Präsidium Bosnien-Herzegowinas), Franjo Tuđman (Präsident der Republik Kroatien) und Slobodan Milošević (Präsident der Republik Serbien) das Friedensabkommen, das unter massgeblicher Leitung der Europäischen Union und der USA zustande gekommen war.
Dieses Abkommen hatte nicht nur zum Ziel, ein befriedetes Miteinander schriftlich festzuhalten, sondern bestimmte fortan die Geschicke Bosniens, indem es seinen staatspolitischen, territorialen und administrativen Aufbau (neu) definierte.
Im Annex 4 des Abkommens wurde die Verfassung des unabhängigen Staates Bosnien-Herzegowina festgehalten. Der darin festgehaltene Aufbau des Staatsapparates sieht einen Zentralstaat vor, der jedoch eine Zweiteilung des Landes in sogenannte Entitäten beinhaltet: die Föderation Bosnien-Herzegowina und die Republik Srpska. Während in der Föderation hauptsächlich KroatInnen und BosniakInnen (also muslimische BosnierInnen) leben, sind in der Republik Srpska SerbInnen wohnhaft. Im kriegs- und krisengeschüttelten Land, in dem sich die drei Parteien der Bosniaken, Kroaten und Serben gegenüberstanden, wurde mit dem Abkommen also eine endgültige territoriale Trennung der Ethnien vollzogen, indem ihnen eine jeweils eigene Entität zugeteilt wurde.
Des Weiteren schuf man eine Unterteilung der einen Entität – Föderation Bosnien-Herzegowina – in insgesamt 10 Kantone, die eigene Zuständigkeiten bedienen, jedoch der Föderation Bosnien-Herzegowina unterstellt sind.
Eine Besonderheit stellt der Distrikt Brčko um die gleichnamige Stadt im Nordosten dar: Er ist direkt dem Gesamtstaat unterstellt und stellt ein Kondominium dar, das heisst, dass beide Entitäten gemeinschaftliche für den Distrikt zuständig sind.
Das Dayton-Abkommen hatte auch in der politischen Administration Bosnien-Herzegowinas Folgen: Es wurde eines der kompliziertesten Regierungssysteme Europas geschaffen, um den drei konstitutiven Völkern Bosniens ein gleichberechtigtes Mitbestimmungsrecht zu geben. An oberster Stelle des Staates hatte fortan ein präsidiales Triumvirat zu stehen, mit jeweils einem Repräsentanten der Bosniaken, der Kroaten und der Serben. Gleichzeitig bedeutete diese Interpretation dreier konstitutiver Völker und deren Kopplung an ethnonationale Kriterien, dass in Bosnien-Herzegowina lebende Minderheiten wie Juden und Roma praktisch von der politischen Partizipation ausgeschlossen wurden. Da die ethnonationalen Kriterien bis heute an konfessionelle Kategorien gebunden sind – Bosniaken sind Muslime, Kroaten Katholiken und Serben Orthodoxe – verunmöglichen sie eine Kandidatur, die sich eines religiösen Bekenntnisses zu entziehen versucht.
Der staatliche Verwaltungsapparat wuchs zu einem unübersichtlichen Gebilde aus 13 Ministerpräsidenten, neun gesamtstaatlichen Ministerien, 32 Entitätsministerien und 130 Ministern auf Kantonalebene an. Da beide Entitäten über eine jeweils eigene Legislative und Exekutive verfügen, stellt sich die staatspolitische und administrative Gliederung Bosnien-Herzegowinas als hochkomplexe Struktur dar, die aufgrund ihrer Opulenz nicht selten träge und ineffizient agiert.
Um sicherzustellen, dass die zivilen Grundsätze des Abkommens gewahrt und umgesetzt wurden, installierte man mittels der Resolution 1031 des UN-Sicherheitsrates einen Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina. Das Büro des Hohen Repräsentanten (Office of the High Representative, OHR) hat seinen Sitz in Sarajevo und ist mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet: Er kann Amtsträger ihres Amtes entheben, neue Gesetze erlassen oder neue Behörden einrichten. Der Hohe Repräsentant wird vom sogenannten Friedensimplementierungsrat ernannt, einem Gremium, das sich aus den Aussenministerien der UNO-Mitgliedsstaaten zusammensetzt und vor dem er alle sechs Monate Bilanz ziehen und Rechenschaft ablegen muss. Seine Vollmachten verdankt er den sogenannten Bonner Befugnissen (Bonn Powers) – ihrerseits das Resultat der Verhandlungen des Friedensimplementierungsrates in Bonn im Dezember 1997. Wenn auch schon mehrfach darüber diskutiert wurde, das Büro des Hohen Repräsentanten zu schliessen, wurde dieser Schritt bisher noch nicht vollzogen. Solange das OHR die internationale Kontrolle, mit der es beauftragt ist, ausübt, ist Bosnien-Herzegowina kein selbständig regierungsfähiger Staat.
Derzeit amtierend im Büro des Hohen Repräsentanten in Sarajevo ist der österreichische Diplomat Valentin Inzko. Er trat sein Amt am 1. März 2009 an und ist damit der am längsten amtierende Beauftragte der UNO für die Umsetzung des Dayton-Abkommens.
Verwendete Literatur:
Calic, Marie-Janine: Krieg und Frieden in Bosnien-Herzegowina. Frankfurt am Main 1995.
Džihić, Vedran: Bosnien und Herzegowina in der Sackgasse? Struktur und Dynamik der Krise fünfzehn Jahre nach Dayton. In: Südosteuropa 59 (2011), H. 1, S. 50-76.
Flessenkemper, Tobias / Moll, Nicolas (Hg.): Das politische System Bosnien und Herzegowinas. Herausforderungen zwischen Dayton-Friedensabkommen und EU-Annäherung. Wiesbaden 2018.
Hösch, Edgar: Geschichte der Balkanländer. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart. München 2008.
Bildquelle: https://www.balkaninsight.com/en/article/bosnia-arrests-man-with-missing-copy-of-dayton-agreement-11-01-2017/1452/10