Im März 2022 jährt sich zum dreißigsten Mal der Krieg zwischen der Republik Moldau und der Pridnestrowischen Moldauischen Republik (PMR), auch als Transnistrien geläufig. Als im Frühling 1992 der Konflikt zwischen den beiden Parteien eskalierte, starben mehr als 1.000 Personen und über 100.000 Menschen flohen.[1]

Bis heute ist der Konflikt nicht endgültig beigelegt. Die PMR erfüllt praktisch alle Eigenschaften eines unabhängigen Staates. So verfügt sie beispielsweise über eine eigene Regierung und Währung, wird aber von keinem anderen Staat anerkannt, sondern ist völkerrechtlich Teil der Republik Moldau. Der ungelöste Konflikt zwischen der Republik Moldau und der PMR spielt bis heute eine Rolle, z.B. bei den Moldauischen Präsidentschaftswahlen 2020.[2] Wie kam es 1992 zum Konflikt und was waren und sind die Interessen der Konfliktparteien?

Skizze des geschichtlichen Kontexts

Das damalige Bessarabien, das zu weiten Teilen mit dem Territorium der heutigen Republik Moldau übereinstimmt, war ab 1812 Teil des Russischen Reiches. Nach dem 1. Weltkrieg wurde Bessarabien ein Teil Rumäniens. Diese Entwicklungen betrafen jedoch nur die Gebiete zwischen den Flüssen Pruth und Dnister. Die östliche Seite des Dnister, das Gebiet der heutigen PMR war nicht Teil Rumäniens. 1944 fielen sowohl die Gebiete westlich und östlich des Dnister an die Sowjetunion und bildeten die Moldauische Sozialistische Sowjetrepublik (MSSR).

Im Jahre 1991 erklärten sich sowohl die PMR als auch die Republik Moldau als unabhängig.[3] Im März 1992 versuchte die Republik Moldau die Kontrolle über die transnistrischen Gebiete militärisch zurückzuerlangen. Während die PMR unter anderem von russischen Kombattanten unterstützt wurde, erhielt die Republik Moldau Unterstützung durch rumänische Freiwillige. Im Juli 1992 wurde die Auseinandersetzung durch einen Waffenstillstand beendet.[4]

Skizze des ökonomischen Kontextes

Die PMR war und ist industriell geprägt. Fabriken und einflussreiche Positionen waren im Besitz einer russischsprachigen Führungsschicht. Das Gebiet zwischen Pruth und Dnister hingegen war agrarisch geprägt mit einer meist rumänischsprachigen Bevölkerung. Während der Perestroika wuchs in der Moldauischen SSR eine neue, rumänischsprachige Führungsschicht und eine nationalistische Bewegung, die „Frontul Popular“ heran. Diese forderte eine Moldauisierung auf allen gesellschaftlichen Ebenen: Rumänisch[5] wurde zur Amtssprache erhoben, die rumänische Hymne übernommen und die staatlichen und wirtschaftlichen Führungsebenen sollten mit Moldauischen Personen besetzt werden. Durch diese drohende Änderung der Besitzverhältnisse fürchteten die transnistrischen Führungsschichten ihren Einfluss zu verlieren, was die Sezessionsbewegung vorantrieb.[6]

Skizze des kulturellen und sprachlichen Kontexts

Teile der „Frontul Popular“ diskutierten einen Anschluss an Rumänien.[7] Dies löste in der russischsprachigen Bevölkerung und bei anderen Minderheiten, beispielsweise den Gagausen, Ängste vor einer Rumänisierung verbunden mit Diskriminierungen aus.  Somit hat der Konflikt auch einen kulturell-sprachlichen Aspekt. Wobei die nachvollziehbaren Sorgen der russischen Bevölkerung instrumentalisiert wurden, um Unterstützung für die Unabhängigkeit der PMR zu erlangen.

Heute identifizieren sich in der Republik Moldau rund 75% als MoldauerInnen und rund 4% als RussInnen.[8] Auf dem Gebiet der PMR leben zu jeweils einem Drittel MoldauerInnen, RussInnen und UkrainerInnen.[9] Auch wenn damit ein „nicht-moldauische“ Mehrheit besteht, machen die Zahlen deutlich, dass der Konflikt weniger auf ethnische Differenzen zurückzuführen ist als auf ökonomische und kulturell-sprachliche Differenzen.

Skizze des geopolitischen Kontexts

Russland betrachtet die Republik Moldau als legitimes Einflussgebiet. Zwischen 1991 und 1992 wurde das transnistrische Militär durch Waffen und Personal von der 14. russischen Armee unterstützt. Seit dem Waffenstillstand sind auch russische, moldauische sowie transnistrische Friedenstruppen in der PMR stationiert. Auf dem Istanbuler Gipfel der OSZE im Jahr 1999 verpflichtete sich Russland russisches Militär aus der Republik Moldau abzuziehen.[10]  Dennoch befinden sich in der PMR große russische Munitionsdepots, die weiterhin von russischem Militär kontrolliert werden.[11]

Auf der anderen Seite ist die Republik Moldau Teil der Europäischen Nachbarschaftspolitik der EU. Im Jahre 2014 schlossen die EU und die Republik Moldau ein Assoziierungsabkommen. Ziele dieses Abkommens sind unter anderem die wirtschaftliche Integration zu fördern[12] sowie verstärkte Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung.[13] Somit hat der Konflikt zusätzlich einen geopolitischen Aspekt, der die Lösungsmöglichkeiten des Konflikts formt.

Ziele der im Konflikt liegenden Parteien

Die Republik Moldau beruft sich auf ihre international anerkannten Grenzen und besteht auf ihre territoriale Integrität, ist aber bereit der PMR gewisse Autonomierecht zuzugestehen. Allerdings ist eine Wiedereingliederung der weitestgehend souveränen PMR mit Kosten für die Republik Moldau verbunden. So könnte mit einer Wiedereingliederung der Anteil an pro-Russischen Wählern ansteigen, was die zunehmend pro-europäische Orientierung der Republik Moldau verschieben könnte. Die neugewählte Präsidentin Maia Sandu erklärte, dass Russland zunächst die russischen Truppen aus der PMR abziehen und die Friedenstruppen durch eine Friedensmission der OSCE ersetzt werden solle. Damit distanziert sie sich vom Kurs des vorherigen Präsident Igor Dodon, der betonte wie wichtig die russischen Friedenstruppen seien.[14]

Die Industrie der PMR profitiert von russischen Energiesubventionen. Auch Renten und Sozialleistungen werden für InhaberInnen russischer Pässe übernommen. Der Hauptanteil des transnistrische Exports geht jedoch in die Republik Moldau und EU.[15] So gilt das Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Republik Moldau (DCFTA) auch für die PMR. Trotzdem strebt ein Großteil der Verantwortlichen in der PMR einen Anschluss an die Russische Föderation an. So stellten pro-russische Politiker 2014 im Zusammenhang mit der Krim-Annexion durch Russland einen Beitrittsgesuch an den Kreml.[16] Weitere, für sie akzeptable Optionen sind die Unabhängigkeit der PMR, eine Konföderation mit der Republik Moldau und nicht zuletzt der Erhalt des Status quo, der eine de-facto Unabhängigkeit darstellt.[17]

Einerseits sieht sich Russland selbst als Vermittler in diesem Konflikt. So ist Russland neben der OSZE und der Ukraine ein Mediator im 5+2 Format, das zwischen den Konfliktparteien mediiert. Andererseits ist Russland auch eine Konfliktpartei, da es zum Aufbau der Eigenstaatlichkeit der PMR wesentlich beigetragen hat und weiterhin russisches Militär als „Operative Gruppe Russischer Truppen“ in der PMR stationiert ist.[18] Die Russische Föderation erkennt die PMR nicht an. Auch eine Annexion der PMR wäre ein riskantes, kostspieliges Unterfangen, wodurch Russland den Einfluss auf Chişinău gefährden würde. Ein Autonomiestatus der PMR innerhalb der Republik Moldau, der weitreichende Vetomöglichkeiten gegen politische Entscheidungen Chişinău’s vorsieht, würde Russland hingegen die Einflussnahme auf den politischen Kurs der Republik Moldau ermöglichen. So kann eine Annäherung der Republik Moldau an die EU verhindert werden. Damit widersprechen sich Ziele der PMR mit Zielen Russlands.

Kurze Schlussbetrachtung

Der Konflikt zwischen der Republik Moldau und der PMR hat ökonomische, kulturell-sprachliche und geopolitische Aspekte. Insbesondere die geopolitischen Aspekte verweisen auf einen größeren Konflikt zwischen „Ost“ und „West“. Dies sollte aber nicht dazu führen, dass die internen Aspekte des Konfliktes zwischen der Republik Moldau und der PMR übersehen werden. Der geopolitische Aspekt ist nicht die einzige Bedingung für die andauernde Existenz des Konfliktes. Momentan findet jede Konfliktpartei eigene Argumente für die Beibehaltung des Status quo, außerdem bietet dieser eine relative Stabilität. Daher ist es wahrscheinlich, dass sich kurzfristig wenig an der bestehenden Situation ändert wird, sondern eine Politik der „kleinen Schritte“ weiterverfolgt wird.

 

Referenzen:

[1] Büscher, Klemens: Der Transnistrienkonflikt im Lichte der Krise um die Ukraine. In: Fischer, Sabine (Hrsg.): Nicht eingefroren! Die ungelösten Konflikte um Transnistrien, Abchasien, Südossetien und Berg-Karabach im Lichte der Krise um die Ukraine, SWP-Studie 2016, S. 30.

[2] Moldauische Staatsangehörige, die in der PMR leben dürfen in der Republik Moldau wählen, da die PMR dafür jedoch keine Wahllokale auf ihrem Gebiet erlaubt, wurden bei vergangenen Wahlen oft Busse organisiert, um die WählerInnen über die Waffenstillstandslinie zu transportieren. Dies birgt die Gefahr, dass WählerInnen beeinflusst und für ihre Stimme bezahlt werden, siehe: Bescotti, Elia: Die Rolle Transnistriens im Diskurs des Präsidentschaftswahlkampfs in der Republik Moldau, bpb 1.12.2020, URL: https://www.bpb.de/internationales/europa/russland/analysen/322103/analyse-die-rolle-transnistriens-im-diskurs-des-praesidentschaftswahlkampfs-in-der-republik-moldau.

[3] Am 23. Juni wurde die moldauische Souveränitätserklärung verabschiedet, kurz darauf, am 2. September 1990, folgte die Ausrufung der Pridnestrowischen Moldauischen Sozialistischen Sowjetrepublik.[3] Am 25. sowie am 27. August erklärten sich die PMR gefolgt von der Republik Moldau als unabhängig.[3] Siehe: Hanne, Gottfried: Der Transnistrien-Konflikt: Ursachen, Entwicklungsbedingungen und Perspektiven einer Regulierung, Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und international Studien 1998, S. 16-17 und 19.

[4] Heinemann-Grüder, Andreas: Postsowjetische De-fact-Regime, bpb 1.12.2020, URL: https://www.bpb.de/internationales/europa/russland/analysen/322085/analyse-postsowjetische-de-facto-regime.

[5] Moldauisch kann als Dialekt des Rumänischen verstanden werden. Zur Kontroverse über die Bezeichnung der Sprache siehe: Crowcroft, Orlando: Sprachenstreit: Sind Moldauisch und Rumänisch identisch?, URL:  https://de.euronews.com/2020/01/31/sprachenstreit-sind-moldauisch-und-rumanisch-identisch

[6] Büscher, Klemens: Der Transnistrienkonflikt im Lichte der Krise um die Ukraine, S. 29.

[7] Roper, Steven D.: Regionalism in Moldova: The Case of Transnistria and Gagauzia, Regional & Federal Studies 11/3 (2001), S. 106.

[8] The World Factbook, Moldova, URL: https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/moldova/#people-and-society

[9] Auswärtiges Amt, Republik Moldau: Politisches Portrait, URL: https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/moldau-node/politisches-portrait/202838

[10] Istanbul Summit Declaration, Article 19, S. 49-50, URL: https://www.osce.org/files/f/documents/6/5/39569.pdf

[11] Ciochina, Simion; Schwartz, Robert: Das explosive Erbe der Sowjetzeit, DW 1.122015, URL: https://www.dw.com/de/das-explosive-erbe-der-sowjetzeit/a-18886510

[12] Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der EURATOM und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Moldau andererseits, Artikel 1, URL: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:22014A0830(01)&from=ro

[13] Assoziierungsabkommen, Artikel 3. Die Republik Moldau trägt beispielsweise zur European Union Training Mission Mali (EUTM) bei.

[14] Wolff, Stefan: The prospects for a settlement on Transnistria under a Sandu presidency, New Europe 11.12.2020, URL: https://www.neweurope.eu/article/the-prospects-for-a-settlement-on-transnistria-under-a-sandu-presidency/.

[15] Büscher, Klemens: Der Transnistrienkonflikt im Lichte der Krise um die Ukraine, S. 42.

[16] BBC News: Moldova’s Trans-Dniester region pleads to join Russia, URL: https://www.bbc.com/news/world-europe-26627236

[17]  Kosienkowski, Marcin: Is internationally recognized independence the goal of quasi-states? The case of Transnistria, SSRN Electronic Journal August 2012, S. 58-59.

[18] Büscher, Klemens: Der Transnistrienkonflikt im Lichte der Krise um die Ukraine, S. 34.