Unumstritten war die positive Rolle der polnischen katholischen Kirche in der Vermittlung zwischen der Solidarność-Bewegung und der kommunistischen Regierung. So galt die Kirche nicht nur in Polen als moralische Autorität, die von der kommunistischen Regierung mal mehr, mal weniger toleriert wurde, sondern auch als einer der wenigen Orten, an dem auch nicht-christliche Dissidenten Schutz genießen konnten (Kubik 1994; Siedlarz 1996).
Während sie einerseits als wichtige zivilgesellschaftliche Kraft für die Demokratisierung Polens angesehen wurde, gerät dieses Bild spätestens mit dem „offenen Schweigen“ der Bischöfe zur Entmachtung des Verfassungsgerichtes durch PiS ins Wanken (s. hierzu FOMOSO 2017). Vor dem Hintergrund, dass der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtes Andrzej Rzepliński einige Monate davor einen Orden für den Verdienst zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit durch die Kirche selbst erhalten hatte (Newsweek.pl 2017), erscheint das Verhalten der Bischöfe mehr als widersprüchlich. Erst drei Tage nach den Massendemonstrationen gegen die umstrittene Justizreform, am 20.Juli dieses Jahres, rief der Primas Wojciech Polak zur „Erhaltung der Grundsätze des demokratischen Rechtsstaates“ auf (Deutsche Welle 2017). Aber auch bei der Quasi-Sakralisierung von den von PiS organisierten monatlichen Erinnerungsmärschen von Smoleńsk oder bei den teilweise noch kommenden Exhumierungen der Opfer lassen sich kaum kritische Töne aus dem Episkopat vernehmen.
Wie kam es zu der „unheiligen Allianz“ zwischen Kirche und Regierung? Wird die erstere nur zum Nutzen der letzteren instrumentalisiert?
Um die heutige Position des Episkopats verstehen zu können, bedarf es eines kurzen historischen Überblicks über die polnische Kirche. So war und ist diese stets als eine Art Sammelbecken für verschiedene geistig-ideelle Strömungen, die von nationalistisch-autoritären bis hinzu sozialliberalen Denkrichtungen reichen, zu betrachten. So konnte das Episkopat mit der Ernennung des eher liberalen polnischen Kardinals Karol Wojtylas zum Papst auch tendenziell links-/liberale Intellektuelle an sich ziehen. Der bis heute dominierende Kreis innerhalb der Kirche war jedoch der national-konservative um den Primas Stefan Wyszyński, gefolgt von Glemp und Polak, der liberaldemokratischen, urban-intellektuellen sowie westlichen Lebensweisen eher skeptisch gegenüberstand. So favorisierte Wyszyński auch unter der kommunistischen Regierung eine Integration in bereits existierende politische Strukturen sowie eine De-Politisierung der Gläubigen (MacDonald 1983; vgl. Laba 1991).
Dank sog. „entkoppelter Organisationsstrukturen“ der polnischen Kirche zur Zeit des Kommunismus überlebte auch ein lokaler, „anpassungsfähiger“ kirchlicher Pluralismus, der jedoch die hierarchische Struktur grundsätzlich nicht aufgab. Die positive Rolle der polnischen Kirche für die Solidarność-Bewegung lässt sich somit eher auf die wichtigen Vereinigungs,- und Mobilisierungsprozesse, welche vor allem durch die kleinen, aber relevanten liberal-konservativen Kreise initiiert wurden, zurückführen. In diesem Sinne galt auch Johannes Paul II. als Symbol eines demokratischen Westens.
Die Mobilisierungsbemühungen auf Seiten des polnischen Episkopats und dessen Vermittlerrolle zwischen Staat und Opposition dagegen waren durchaus reserviert und v.a. von dem Ziel der eigenen Legitimitätserhaltung geprägt. Der Wegfall der kommunistischen Regierungsparteien 1990 und die Regierungsübernahme durch oppositionelle Parteien haben zwar einen Systemwandel bzw. Demokratisierungsreformen in Gang gesetzt, andererseits konnte sich die polnische Kirche nicht nur bestimmte institutionelle Vorrechte zurückgewinnen, sondern auch die eigene politisch-ökonomische Position mit weitgehenden Privilegien sowohl unter konservativen als auch sozialdemokratischen Regierungen ausbauen (vgl. Ziemer 2013). Vertreter der liberal-demokratischen Strömung, die sog. „Kirche von Łagiewienki“, konnte sich zwar auch nach 1990 mit Vertretern in Medien wie dem „Tygodnik Powszechny“ etablieren, überraschender war jedoch die Wiederbelebung der nationalistisch-paternalistischen Strömung. So hat diese insbesondere mit dem sukzessiven Aufbau medialer sowie wirtschaftlicher Unternehmen maßgeblich durch die Person Tadeusz Rydzyk stark an Einfluss gewonnen. Aushängeschilder für u.a. ausländer-, v.a. deutschland- sowie russlandfeindliche Positionen sind der Radiosender „Radio Maryja“, der TV-Kanal „TV Trwam“, aber auch die Universität in Thorn. Mehr und mehr hat sich das ökonomische Potential durch ebendiese Kommunikationsmittel bzw. edukative Einrichtungen auch in politische Macht gewandelt, von dem insbesondere die PiS-Partei profitieren kann. Diese Verbindung zwischen Regierungspartei und jenem Teil der Kirche um Rydzyk hindert auch das Episkopat zwecks kirchlicher Einheit und finanzieller Einnahmequellen Regierungsentscheidungen offen in Frage zu stellen.
Mit der personellen Übernahme des Instituts für Nationales Gedenken (IPN), welches für die Archivierung über (nicht nur) während des Kommunismus verübten Vergehen zuständig ist, verfügt auf der anderen Seite auch die Regierung über ein effektives Druckmittel gegenüber bestimmte potentiell belastbare Klerikale (Newsweek, 2016). Paradoxerweise erweist sich hierbei v.a. der Vatikan als externe progressive Kraft, die die polnische Kirche v.a. in Fragen der Aufnahme von Flüchtlingen zu einer humanitären bzw. christlich-sozialen Haltung drängt (Rzeczpospolita 2017). Während somit die Dominanz der national-traditionalistischen Strömung innerhalb der polnischen Kirche die „notwendige Voraussetzung“ für die Integration auch radikalerer Kreise war, stellte u.a. die Stärkung des nationalistisch-autoritären Flügels, die sog. „Kirche von Thorn“, die hinreichende Bedingung für die starke Abhängigkeit des Episkopats von der heutigen Regierung dar. Doch auch die Kirche in dem sonst so streng katholisch vermuteten Polen hat in den letzten Jahren an Legitimität eingebüßt; so ist die Zahl der Polinnen und Polen, die sich nach den Weisungen der Kirche richten, seit 2005 von 66 auf 39 Prozent gesunken (Deutsche Welle 2017) – eine weiter zu enge Bindung an die Regierung könnte damit noch mehr Gläubige von der Kirche abwenden.
Quellen:
Deutsche Welle 2017. Die Macht der Kirche in Polen. Available at: http://www.dw.com/de/die-macht-der-kirche-in-polen/a-39807537 [Accessed 15 July, 2017].
FOMOSO 2017. Die sukzessive Entmachtung der Justiz in Polen. Available at: https://www.fomoso.org/nachrichten/artikel/die-sukzessive-entmachtung-der-justiz-in-polen [Accessed at 12 July, 2017].
Kubik, Jan. 1994. The Power of Symbols against the Symbols of Power. The Pennsylvania StateUniversity Press. University Park, Pennsylvania.
Laba, Roman. 1991. The Roots of Solidarity. A political sociology of Poland´s working-class democratization. Princeton, New Jersey. Princeton University Press.
MacDonald, Oliver. The Polish Vortex: Solidarity and Socialicsm. In: New Left Review I/139, May-June 1983.
Monticone, Ronald C. 1986. The Catholic Church in Communist Poland 1945-1985. Forty Years of Church-State Relations. East European Monographs, Boulder. Columbia University Press, New York.
Newsweek.pl 2016. Koscielne panstwo PiS-owskiej herezji. Available at: http://www.newsweek.pl/opinie/kosciol-katolicki-i-pis-rok-dobrej-zmianykaczynskiego-artykuly,399184,1.html [Accessed 10 July, 2017].
Newsweek.pl, 2016. Danuta Walesa: Nie mozemy liczyc na Kosciol! Available at: http://www.newsweek.pl/polska/marsz-w-obronie-walesy,artykuly,380766,1.html [Accessed 15 July, 2017].
Rzeczpospolita 2017. Uchodzy: Rzad ulegnie namowom papieza ws. Korytarzy humanitarnych. Available at: http://www.rp.pl/Rzad-PiS/305259850-Uchodzcy-Rzad-ulegnie-namowom-papiezaws-korytarzy-humanitarnych.html#ap-1 [Accessed 13 July, 2017].
Siedlarz, Jan. 1996. Kirche und Staat im kommunistischen Polen 1945-1989. Münchener Digitalisierungszentrum. Paderborn.
Ziemer, Klaus. Das politische System Polens. Eine Einführung. Springer Verlag, Wiesbaden 2013.
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