Im Kloster der montenegrinischen historischen Stadt Cetinje wurde die Amtseinführung des Metropoliten der serbisch-orthodoxen Kirche, Joanikije, abgehalten. Überschattet wurde dies von zahlreichen Protesten durch Montenegriner, welche in der Ortswahl der Weihe eine Provokation oder gar einen Angriff auf die montenegrinische Souveränität sehen.
Hunderte Menschen haben sich am Tag der Amtseinführung zusammengeschlossen, um gegen diese vorzugehen. Durch Felsbrocken und brennende Autoreifen versuchten sie, die Zufahrtswege in Cetinje hinein zu blockieren. Joanikije musste gemeinsam mit dem Patriarchen der serbisch-orthodoxen Kirche Porfirije mit einem Hubschrauber und unter strengem Polizeischutz in die Stadt eingeflogen werden. Doch auch im Zentrum protestierten zahlreiche Montenegriner. Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Demonstranten im Zaum zu halten, insgesamt 60 Personen wurden verletzt.
Die Ausschreitungen um die Amtseinführung Joanikijes in Montenegro zeigen sowohl die problematische Verbindung zwischen Politik und Religion auf dem Balkan als auch das angespannte Verhältnis zwischen den Nachbarländern Montenegro und Serbien auf. Erst bestanden sie beide als letzte verbliebenen Staaten der Bundesrepublik Jugoslawien und anschließend als vereintes Serbien und Montenegro die Nachbarländer lange Zeit in einer Union miteinander, bis das kleinere Montenegro 2006 zum Ärgernis Serbiens für seine Unabhängigkeit stimmte. Heute fühlt sich dennoch jeder dritte montenegrinischer Bürger als ethnischer Serbe. Demnach ist die montenegrinische Politik maßgeblich in ein pro-westliches und ein pro-serbisches Lager aufgespalten.
Der politische Konflikt zwischen den Montenegrinern und Serben geht Hand in Hand mit dem religiösen Konflikt, der Zerrissenheit der Montenegriner zwischen der serbisch-orthodoxen und auf der anderen Seite der montenegrinisch-orthodoxen Kirche einher. Letztere wurde 1918, beim Zusammenschluss beider Länder, samt all ihrer Besitztümer von der serbisch-orthodoxen Kirche vereinnahmt. Nun, wo Montenegro wieder unabhängig und auch die montenegrinische Kirche wieder autonom ist, sorgt dies für zugleich politischen und religiösen Sprengstoff. So kam es bereits Ende 2019 zu religiös-politischen Ausschreitungen, da ein Gesetz verabschiedet wurde, welches die Rückgabe des Eigentums der montenegrinischen Kirche von vor 1918 vorsah. Auch hier offenbarte sich die tiefe Spaltung in die zwei vorherrschenden Lager sowie die Vermengung von Religion und Politik in dem kleinen Balkanstaat.
Der damalige langjährige autokratisch regierende Premierminister Đukanović schoss sich mit diesem identitätspolitischen Vorstoß, der auch vielen pro-westlichen Montenegrinern eine zu nationalistische Note trug, ein Eigentor. So kam es zum ersten politischen Machtwechsel in Montenegro seit 30 Jahren. Hierbei soll der serbisch-orthodoxen Kirche eine enorme Rolle zuteilgeworden sein, die für ihren Einfluss in die nationale montenegrinische Politik bereits mehrfach in Verruf geriet. Ihr Einmischen in den Wahlkampf 2020 trug Früchte, sodass man der nun in Montenegro implementierten Expertenregierung eine pro-serbische Ausrichtung nachsagen kann.
Mit diesen vorbelasteten Hintergründen ist also die Angst der Montenegriner vor der weiteren politischen Einflussnahme durch die serbisch-orthodoxe Kirche imn eigenen Land nachvollziehbar. Die Weihe des serbischen kirchlichen Oberhaupts Joanikije im montenegrinischen Cetinje scheint ein Akt der Provokation und Machtdemonstration zugleich, mit dem die unerfahrene Regierung Montenegros nicht umzugehen weiß.
Der aktuelle Premierminister Krivokapić rief im Zuge der Proteste zu Frieden auf und zog den Unmut vieler Demonstranten auf sich, indem er nicht nur die eigenen Hubschrauber für das Einfliegen der Vertreter der serbisch-orthodoxen Kirche zur Verfügung stellte, sondern nach der Zeremonie mit diesen feierlich zu Mittag gegessen hat. Der Juniorpartner in der Koalition, die Partei URA, hingegen veranlasste einen Ortswechsel der Weihe, um die Ausschreitungen im Land sowie die politische Spaltung der Bevölkerung zu verhindern – ohne Erfolg. Inmitten all des politischen Chaos rief der nun in Rolle des Präsidenten agierende Đukanović bereits im Vorfeld zu eben jenen Protesten auf, um weiteren Druck auf die Regierung auszuüben.
So zeigt die verfahrene Lage in Montenegro neben der Spaltung der Bevölkerung vor allem aber die Schwachstellen der politischen Landschaft auf. Durch das über drei Dekaden lange und autokratische Durchregieren der Partei Đukanovićs haben die weiteren politischen Akteure Montenegros schlichtweg wenig Erfahrung in puncto praktizierte Demokratie. Daraus resultiert eine instabile Regierung, die gepaart mit einer identitätspolitischen Krise, welche die Weihe in Cetinje manifestierte, und einem sich querstellenden Präsidenten vollkommen handlungsunfähig scheint.
Quellen:
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/proteste-montenegro-103.html
https://www.tagesschau.de/ausland/wahl-montenegro-101.html
https://www.dw.com/de/montenegro-der-schwierige-epochenwandel/a-59028490
Bild:
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/proteste-montenegro-101.html
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